Endlich zu Hause: Ministru (Mitte) wird von seinem Vater, seiner Stiefmutter und den Geschwistern in Empfang genommen.
Südostafrika

Doktor Vasco da Gamas Mission für die blinden Kinder in Mosambik

In Mosambik in Südostafrika erblinden Kinder, obwohl ihnen mit einer Routineoperation geholfen werden kann. Es fehlen die Ärzte – Vorurteile und Unwissen verhindern nötige Behandlungen. Ein Lokalaugenschein.

Wenn Dr. Vasco da Gama Dienst hat, sind die Bänke im Wartebereich der Augenklinik dicht besetzt. Junge Frauen mit kleinen Kindern in den Armen haben Platz genommen. Ein halbwüchsiger Bub sitzt eingeklemmt zwischen einem jungen Mann mit geschlossenen Augen und einer Frau mit schwarzem Turban, die versucht, ihr quengelndes Kleinkind bei Laune zu halten. Alle, die hier warten, sind nur aus einem Grund hier: Dr. Vasco da Gama wird ihnen in wenigen Minuten den dicken Verband entfernen, die sie alle über einem Auge tragen.

Ministru Antonio mit seinen zerrissenen Jeans und den Flip-Flops sieht aus, wie viele Buben in diesem Alter, und doch ist er ganz anders. Er ist im Dorf Malopa zu Hause, rund 15 Kilometer von der asphaltierten Hauptstraße außerhalb der Provinzstadt Mocuba entfernt, die das Hinterland des südostafrikanischen Staates Mosambik mit der Küste verbindet. In der Schule wurde der Zwölfjährige in eine Klasse mit den Anfängern gesteckt. Dem Lernstoff, den der Lehrer vorne an der schwarzen Kreidetafel den Kindern erklärt, kann er nur schwer folgen. Ministru ist auf einem Auge blind. Seine Linse ist trüb geworden, er hat Grauen Star. Doch das alles wird sich schon bald ändern: Ministru hat eine künstliche Linse eingesetzt bekommen, er wird wieder sehen können.

Grauer Star häufige Augenerkrankung bei Kindern

Was in Österreich als Alterserkrankung bekannt und leicht korrigierbar ist, betrifft weltweit auch etwa 14 Prozent aller Kinder. In Ländern im südlichen Afrika sind es aber doppelt so viele Kinder, die Grauen Star (Katarakt) bekommen. Zuerst sehen sie schlecht und verschwommen, schließlich können sie das Sehvermögen ganz verlieren. Sie können nicht mehr zur Schule gehen, keinen Beruf ausüben und werden an den Rand der Gesellschaft gedränt. Die Erkrankung wird als Folge von Armut gesehen: Aufgrund von Mangelernährung sowie schlechtem Zugang zu Gesundheitseinrichtungen haben in Entwicklungsländern so viel mehr Kinder Grauen Star und auch anderen Augenerkrankungen. Leicht korrigierbar sind Katarakte auch bei Kindern. Die trübe Linse wird entfernt, durch eine künstliche ersetzt. Die Operation, die bei Kindern unter Vollnarkose durchgeführt wird, dauert meist nicht länger als zehn bis fünfzehn Minuten. Bereits am nächsten Tag können die Patienten wieder sehen. Doch in Mosambik wissen nur wenige über die leichte Behandelbarkeit der Erkrankung Bescheid und nur wenige haben die Möglichkeit, einen Augenarzt aufzusuchen. Doch das soll sich ändern – das ist Dr. Vasco da Gamas persönliche Mission.

Als nächster ist Ministru an der Reihe. Dr. Vasco da Gama entfernt dem Buben die dicken Lagen an Verbandsmull. Noch ist Ministru unsicher, sein Auge tränt, muss eingetropft werden. Schnell hat sich der Bub an die neue Situation gewöhnt. Mit einer Brille wird Ministru bald mit beiden Augen sehen können.

Im Fall von Ministru kommt die Diagnose sehr spät. Sein Vater Arivacarohe Antonio erzählt, dass er schon vor fünf Jahren mit seinem Sohn im Spital der Bezirkshauptstadt Mocuba war und ihm dort erklärt wurde, dass die Augenprobleme des Kindes mit der Zeit vergehen würden. Vergangen sind die Schmerzen nicht, im Gegenteil, immer weniger konnte er sehen. Die Trübung der Linse war auch für Außenstehende deutlich erkennbar. Erst vor wenigen Monaten ergirff ein Lehrer die Initiative und schickte ihn – gemeinsam mit seiner Klassenkollegin Gloria (15), die ebenfalls eine trübe Linse hat – in die Augenklinik der rund vier Stunden entferneten Stadt Quelimane. Dort hat sich Dr. Isaac Vasco da Gama als erster und einziger Augenarzt im Land auf die Behandlung von Kinder spezialisert.

Gelder kommen auch aus Österreich

„Viele Augenärzte glauben tatsächlich, dass Grauer Star nur Alte betrifft und vertrösten die Eltern, dass die Erkrankung schon wieder vergehen wird“, sagt der 39-jährige Arzt. In seiner Augenambulanz in der Stadt Quelimane bekommt er jede Woche Dutzende Kinder, die entweder eine Katarakt-Operation brauchen, unter Strabismus (Schielen) leiden oder unter Fehlsichtigkeit und eine Brille brauchen. Die meisten werden von den eigens trainierten Lehrern in den Dorfschulen ins Spital überwiesen – so wie Ministru und seine Schulkollegin Gloria.

Jeden Montag finden die Voruntersuchungen statt, am Dienstag wird operiert und am Mittwoch kommen die Verbände runter. Ministrus Vater bekommt zwei Packung Augentropfen in die Hand gedrückt und jede Menge Instruktionen. Auch der kleine Camillo wurde operiert, gleich an beiden Augen. Seine Mutter Victoria wartet nervös, bis das nur neun Monate alte Baby den Verband herunterbekommt. Camillo ist mit Grauem Star auf die Welt gekommen, er konnte – bis jetzt – nie sehen. Schüchtern erzählt die junge Mutter, wie sie den weißen Fleck im Auge des Babys bemerkte. Dann sei sie mit Bus und Boot nach Quelimane gefahren, um ihn untersuchen zu lassen. Camillo war unterernährt, erzählt der Augenarzt. Daher mussten Mutter und Kind zwei Wochen auf der Station verbringen, um durchgecheckt und aufgepäppelt zu werden. Der Gesundheitszustand des Babys hat sich verbessert, es konnte operiert werden.

Dr. Vasco da Gama untersucht den zwölfjährigen Ministru vor der der Augenoperation.
Dr. Vasco da Gama untersucht den zwölfjährigen Ministru vor der der Augenoperation.Light for the World
Ministru kurz vor der Katarakt-Operation.
Ministru kurz vor der Katarakt-Operation.Light for the World

Dr. Isaac Vasco da Gama gilt als Vorreiter in Sachen Augengesundheit und -operationen bei Kindern: Er selbst bezeichnet sich als der erste und derzeit noch einzige Sub-Spezialist in Mosambik. Studiert hat er in Tansania und später in Indien, wo „wir pro Tag an die 300 Kinder an den Augen operiert haben“. Seit fünf Jahren arbeitet er nun in der Hafenstadt Quelimane. „Als ich zurück nach Mosambik bin, habe ich mir zuerst meine eigenen Instrumente gekauft, um professionell arbeiten zu können“, sagt er.

Mittlerweile ist die Augenklinik in Quelimane im ganzen Land bekannt und zu einem Vorzeigeprojekt in Mosambik geworden. „Die Kinder kommen nicht von selbst, wir müssen zu ihnen gehen“, sagt er. Denn von den 30 Augenärzten in Mosambik würden viele falsche Meinungen vertreten. Sie denken, man könne bei Kindern zuwarten, weil ja nur Alte Grauen Star bekämen. „Wir müssen nicht nur die Bevölkerung sondern auch das Gesundheitspersonal aufklären.“ Augenprobleme würden meist als nicht dringend betrachtet und die Therapie hinausgezögert. In einem neuen Ausbildungsprogramm werden junge Augenärzte speziell für die Behandlung von Kindern trainiert. Finanzielle Unterstützung kommt auch aus Österreich: Die Organisation Licht für die Welt greift der Augenklinik nicht nur bei der Anschaffung von Mikroskopen oder künstlichen Linsen unter die Arme, sondern hilft auch bei der fachlich korrekten Ausbildung der Ärzte.

Augenarzt auf Außendienst

Tatsächlich haben Dr. Vasco da Gama und seine Kollegen nicht nur gegen Aberglaube, schlecht geschultes Gesundheitspersonal in den Dörfern zu kämpfen, sondern auch gegen traditionelle Heiler. Der Weg vieler Dorfbewohner mit gesundheitlichen Problemen führt zuerst nicht ins weit entfernte Spital, sondern zum traditionellen Heiler. Aufgüsse aus Kräutern oder Rinde sollen Abhilfe schaffen. Oft müssen Eltern überredet werden, Ärzten zu vertrauen und eine Operation durchführen zu lassen. Immer wieder komme es vor, erzählt Dr. Vasco da Gama, dass Patienten zu ihm kommen, bei denen die Augenbehandlung bei einem Heiler schief gegangen ist. Im riesigen und dünn besiedelten Küstenland mit seinen 32 Millionen Einwohnern kommt laut Statistik aus dem Jahr 2020 ein Arzt auf 10.000 Einwohner. Die Sterblichkeit bei Kindern unter fünf Jahren liegt bei über 70 Prozent.

Während Dr. Vasco da Gama Kinder in der Klinik behandelt, ist sein Kollege, Dr. Terefe, auf „Außendienst“ in der Region Zambesi. Für eine Woche hat er seine mobile Augenklinik in einem kleinen Spital in Nicuadala rund eine Autostunde von Quelimane entfernt aufgebaut. In einem Container wurde der Operationssaal eingerichtet, Mikroskope und andere Hilfsmittel nimmt der Augenarzt in seinem Gepäck mit. Vor dem Container warten knapp 40 alten Menschen im Schatten darauf, dass ihnen nach der Operation der Verband abgenommen wird. Eine Krankenschwester wiederholt einige Male, wie die Augentropen anzuwenden sind. Alle nicken.

In sechs Tagen setzt Dr. Terefe zwischen 150 und 200 Menschen künstliche Linsen ein. „Gestern wollte ich eigentlich 50 Operationen machen, doch dann hatten wir einen Stromausfall“, sagt er. Nach 32 Eingriffen war Schluss, im Container mit dem Operationstisch herrscht schweißtreibende Hitze. „Wir müssen warten, bis wir wieder Strom haben.“

Endlich nach Hause

Im Krankenhaus in Quelimane ist alles nach Plan gelaufen: Der Arzt ist mit Ministrus operiertem Auge zufrieden. In einer Woche soll er wieder kommen, dann kriegt er eine Brille angepasst. Jetzt geht es vorerst einmal nach Hause.

Ministru und seine Schulkollegin Gloria sowie Francisco kurz bevor den Kinder der Verband entfernt wird.
Ministru und seine Schulkollegin Gloria sowie Francisco kurz bevor den Kinder der Verband entfernt wird. Die Presse Fotos extern

Vier Stunden haben Vater und Sohn (gemeinsam mit der Nachbarin Gloria und deren Vater) von ihrem Lehmhaus mit dem Dach aus Palmblättern bis in die Klinik nach Quelimane gebraucht: zuerst zu Fuß, dann mit dem Bus. Die Reisekosten bezahlt das Krankenhaus. Im Dorf Malopa hat sich schnell herumgesprochen, dass Ministru und Gloria wieder da sind. Alle wollen wissen, wie es ihnen geht. Und alle wollen die Begleiter sehen, mit denen sie zurückgekkommen sind.

Presse Infografik, PW

Ministrus Vater stellt die Familie vor, seine Frau (Ministrus Stiefmutter), den zweiten Sohn, die beiden Töchter und das Enkelkind. Froh sei er, endlich wieder daheim zu sein. Nie hätte er gedacht, dass es möglich sei, dass sein Sohn wieder sehen könne. Die Stimmung ist gelöst. „Wer ins Krankenhaus muss, kommt nicht mehr zurück“, hätten seine Nachbarn gesagt, erzählt Vater Arivacarohe . Dass Ministru wieder da ist, sehen kann und morgen wieder zur Schule gehe, beweise das Gegenteil, so der Vater.

Gloria (Mitte mit Tuch) und ihre Familie in ihrem Dorf.
Gloria (Mitte mit Tuch) und ihre Familie in ihrem Dorf. Light for the World
Gloria nach der Augen-Operation. Bei der 15-Jährigen wurde Grauer Star sehr spät diagnostiziert.
Gloria nach der Augen-Operation. Bei der 15-Jährigen wurde Grauer Star sehr spät diagnostiziert. Light for the World

Fakten

Die Organisation Licht für die Welt setzt sich für Augengesundheit u. a. in Mosambik ein und finanziert Untersuchungen, Sehtests, Operationen sowie Brillen.

Kontaktdaten: www.licht-fuer-die-welt.at, IBAN AT92 2011 1000 0256 6001.

Die Reise wurde zum Teil von Licht für die Welt finanziert.

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