Filmkritik

„Nyad“: Endlich sieht man Körper älterer Frauen

Sie ist nicht einfach: Diana Nyad (Annette Bening) will mit über 60 an die sportlichen Erfolge ihrer Jugend anknüpfen.
Sie ist nicht einfach: Diana Nyad (Annette Bening) will mit über 60 an die sportlichen Erfolge ihrer Jugend anknüpfen.Kimberley French/Netflix
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Annette Bening und Jodie Foster brillieren in dem Netflix-Film über die Marathonschwimmerin Diana Nyad. Ob deren Rekord so stattgefunden hat, ist zwar umstritten, schmälert aber nicht das Vergnügen.

Wie nah muss eine Filmbiografie an der Wahrheit sein? Eine Frage, die Hollywood schon lange umtreibt, und die man sich auch beim Film „Nyad“ stellt, der am 3. November auf Netflix veröffentlicht wurde. Er dreht sich um einen Weltrekordversuch: Die Marathonschwimmerin Diana Nyad versucht darin, die 177 Kilometer lange Strecke von Kuba nach Key West in Florida in einem Stück durchzuschwimmen – im Alter von über 60 Jahren. Im Film wird nie das Insert „Nach einer wahren Begebenheit“ eingeblendet. Denn die sportlichen Erfolge der realen Diana Nyad sind umstritten.

Die „World Open Water Swimming Association“ (die 2013 noch nicht existierte) hat ihren Rekord nicht anerkannt. Auch das „Guinness Buch der Rekorde“ hat ihre Leistung nicht aufgenommen. Die Dokumentation des Weltrekordversuchs sei mangelhaft, wurde bemängelt, die Aussagen von Crew-Mitgliedern seien widersprüchlich. Ein ehemaliger Studienkollege, ebenfalls Schwimmer, betreibt sogar eine eigene Fact-Checking-Seite, in der er aufdecken will, wo die Sportlerin die Unwahrheit sagt.

„Bin es leid, dass versucht wird, eine Frau niederzumachen“

„Nyad“-Co-Regisseur Jimmy Chin, eigentlich Dokumentarfilmer („Free Solo“), fand wiederum die Kritik an den sportlichen Erfolgen der Schwimmerin nicht valide, wie er „Vanity Fair“ sagte. Co-Regisseurin Elizabeth Chai Vasarhely meint: „Ich bin es einfach leid, dass im Internet versucht wird, eine Frau niederzumachen, die kompliziert ist, stolz und selbstbewusst.“

Vom Label „wahre Geschichte“ profitieren Biopics, aber „Nyad“ kommt sehr gut auch ohne dieses aus. Annette Bening hat sich monatelang auf die Rolle von Nyad vorbereitet, dieser so komplizierten und nicht unbedingt sympathischen Frau. Sie könnte für einen Oscar nominiert werden (zum fünften Mal). Oscar-Preisträgerin Jodie Foster spielt zurückhaltend und intensiv Nyads beste Freundin Bonnie, die zu ihrer Trainerin wird.

Jodie Foster als Bonnie Stoll, oft auch bauchfrei
Jodie Foster als Bonnie Stoll, oft auch bauchfreiKimberley French/Netflix

Die Freundschaft dieser beiden Frauen, beide lesbisch, aber kein Liebespaar, trägt den Film. Mit trockenem Humor und viel Geduld steht Bonnie ihrer besten Freundin zur Seite und muss sie beizeiten daran erinnern, dass es auch andere Konversationsthemen gibt als die sportlichen Errungenschaften der einzigartigen Diana Nyad.

Die Regisseure Chin und Vasarhelyi scheuen sich nicht, die (trainierten) Körper dieser beiden Frauen – Bening ist 65 und Foster 60 Jahre alt – ins Bild zu rücken. Ungeschminkt und nicht mit Botox künstlich gestrafft, im Badeanzug oder gar bauchfrei. Großartig! Und leider eine Seltenheit, tendiert die Filmindustrie üblicherweise doch dazu, ältere Frauen in Nebenrollen zu drängen. Nicht nur in Hollywood. So gab etwa die österreichische Schauspielerin Verena Altenberger im Juni zu: „Ich habe wirklich Angst vor dem Älterwerden in der Branche“, denn es gebe kaum Rollen für Frauen über 40 – „und ab 47 ist es dann im Grunde vorbei“.

Hoffentlich nicht, denn „Nyad“ ist der beste Beweis, dass es sehr wohl Geschichten über Frauen jenseits der Gebärfähigkeit gibt, die es sich zu erzählen lohnt. Ob Wahrheit oder Fiktion, ist in diesem Fall zweitrangig.

„Nyad“, auf Netflix

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