Filmkritik

„The Killer“: Auftragsmörder, ein sterbenslangweiliger Job

Michael Fassbender als Auftragskiller.
Michael Fassbender als Auftragskiller.Imago / Paramount Pictures
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Der Netflix-Film „The Killer“ mit Michael Fassbender fügt sich nahtlos in das beeindruckende Gesamtwerk von Regisseur David Fincher ein, fordert aber genaues Hinsehen und Hinhören. Dann erfährt man etwa, wieso sich der Auftragsmörder am liebsten als deutscher Tourist tarnt.

David Fincher ist ein Ästhetik-Besessener. Das wird ihm bei seinem neuen Werk auch den Vorwurf der Inhaltsleere einbringen. Zu Unrecht, denn der Regisseur beweist sich mit seinem Porträt eines Auftragsmörders erneut als ein Meister der Präzision. Mit dem ersten Satz, den die namenlose Hauptfigur – gewohnt minimalistisch dargestellt von Michael Fassbender – spricht, erklärt er den Inhalt des soeben auf Netflix erschienen Films „The Killer“: „Erstaunlich, wie anstrengend es körperlich sein kann, nichts zu tun.“ Mit anderen Worten: Den sterbenslangweiligen Job eines Auftragsmörders. Und mit dem zweiten Satz spricht er eine direkte Warnung an ungeduldige Seher aus: „Wenn man nicht in der Lage ist, Langeweile zu ertragen, ist diese Arbeit nichts für einen.“ Man muss das Wort Arbeit nur durch „Film“ ersetzen, und alles ist gesagt.

„The Killer“ ist also ein Werk der gepflegten Langeweile. Mehr als 20 Minuten lang geschieht so gut wie nichts. Man sieht dem Killer beim Warten zu und erfährt mehr über seine tödliche Profession (auch warum er sich gern als deutscher Tourist tarnt: mit denen will nie jemand etwas zu tun haben), seine Regeln (fast mantraartig ziehen sich Stehsätze wie „Halte dich an deinen Plan“, „Antizipieren statt improvisieren“ durch den Film) und seine Philosophie (warum er bei seinen Aufträgen zum Beispiel oft bei McDonald‘s isst und in keine Airbnb-Wohnungen mehr zieht).

Der Killer verspeist sein McDonalds-Menü.
Der Killer verspeist sein McDonalds-Menü.Imago / Paramount Pictures

Film basiert auf Comics-Vorlage

Die Handlung kann man kritisieren. Es klingt wie aus dem Drehbuch eines x-beliebigen B-Movies: Meisterkiller verfehlt erstmals die Zielperson im Fadenkreuz und wird ab sofort zum Gejagten; doch er dreht den Spieß um und geht auf Rachefeldzug. Schon wieder ein Film über einen Killer? Ja, aber nicht nur. Man kann auch ohne einen wendungsreichen Plot viel erzählen, zeigen und hörbar machen.

Gerade zu Beginn wirkt jede Szene wie fotografiert; Fassbender schreitet im Halblicht durch ein Pariser Dachgeschoss und beobachtet die Wohnung gegenüber. Visuell passt das perfekt zur stilvollen französischen Comics-Vorlage „Le Tueur“ von Alexis Nolent und Luc Jacamon. Bereits in dieser ist die Auftaktszene eine Hommage an Jean-Pierre Melvilles Klassiker „Der eiskalte Engel“ mit Alain Delon in der Rolle des Berufskillers.

„The Smiths“-Playlist des Killers

Es sind die vielen Nuancen, die den Film sehenswert machen. Besonders sticht dabei der perfekt eingesetzte Soundtrack heraus. Das zeigt sich vor allem in jener Szene, in welcher der Killer erstmals zur Tat schreitet. Wenn der Mordarbeiter zu seinem Werkzeug, dem Scharfschützengewehr, greift, stöpselt er sich die Kopfhörer des iPods (das Gerät wirkt ein wenig aus der Zeit gefallen, passt aber perfekt zur Figur des abgekapselt lebenden Eremiten) ein und wirft seine Arbeits-Playlist an, die nur aus Songs von „The Smiths“ besteht. Zu Beginn ist das Lied „How Soon Is Now?“ gedämpft zu hören. Wann immer der Zuseher aber durch das Zielfernrohr sieht, schwillt die Musik laut an. Mit jedem Schnitt zurück auf den Killer wird es wieder leiser. Die sich häufenden, harten Schnitte steigern die Spannung. Kurz bevor der Schuss fällt, ertönt die Textzeile „I am human and I need to be loved“.

Auch Umgebungsgeräusche wie die piepsende Pulsuhr am Handgelenk spielen eine wichtige Rolle. Der Einsatz von Stille und unvermittelt laut einsetzenden Geräuschen wird dabei fast schon symbiotisch unterstützt vom an- und abschwellenden, pulsierenden Soundtrack des Duos Trent Reznor und Atticus Ross, das bereits den Score zum Fincher-Film „The Social Network“ verantwortete. Überhaupt vertraut Fincher alten Weggefährten. „Sieben“-Autor Andrew Kevin Walker ist ebenso an Bord wie „Mank“-Kameramann Erik Messerschmidt und „Gone Girl“-Editor Kirk Baxter.

Der Killer beobachtet tagelang, bevor er zur Tat schreitet.
Der Killer beobachtet tagelang, bevor er zur Tat schreitet.Imago / Paramount Pictures

Präziser Killer, präziser Regisseur

Zum ersten Mal zusammengearbeitet hat der Regisseur hingegen mit Tilda Swinton, der er einen einprägsamen Kurzauftritt gewährt. Rund eine halbe Stunde vor Ende wird mit einer Szene, in der sich zwei Killer in einem feinen Restaurant gegenübersitzen, der innere Monolog des Handwerkers des Todes beendet. Und durch den vermeintlich nüchternen Monolog der ebenfalls namenlosen „Expertin“ – die sich vollkommen bewusst ist, dass sie vermutlich gerade ihren letzten Whiskey trinkt, bevor der Killer sie tötet – abgelöst. Die Frau hält ihm einen Spiegel vor: Das Gespräch könnte auch unter umgekehrten Vorzeichen stattfinden. Es ist Fassbenders bewegungslosem Gesicht äußerlich nicht abzulesen, ob seine Regel „Zeige keine Empathie“ innerlich nicht doch ganz leicht zu bröckeln beginnt.

So präzise der Auftragskiller arbeitet, so detailverliebt ist auch der Regisseur. Wie stimmig dieser Film wirklich ist, wird sich wohl erst nach mehrmaligem Sehen erschließen. Vieles ist doppelbödig, nichts dem Zufall überlassen. Irgendwann zu Beginn erklärt der Killer sein Motto: „Tu, was du willst, sei das einzige Gesetz“. Das könnte auch auf Finchers Filmemacher-Visitenkarte stehen.

David Finchers Filmografie:

1992: Alien 3

1995: Sieben

1997: The Game

1999: Fight Club

2002: Panic Room

2007: Zodiac – Die Spur des Killers

2008: Der seltsame Fall des Benjamin Button

2010: The Social Network

2011: Verblendung

2014: Gone Girl – Das perfekte Opfer

2020: Mank

2023: Der Killer

„The Killer“, neu auf Netflix

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