Belfast 1975, Katholikin liebt Protestanten: keine originelle Ausgangssituation, doch schafft es Louise Kennedy, eine intensive, klischeefreie Geschichte über einen Alltag zu erzählen, der von Horror beherrscht wird.
Großer Stoff für den Literaturbetrieb: 2021 debütiert eine irische Autorin als Mittfünfzigerin mit einem Erzählungsband und sorgt sofort für Aufsehen. Zuvor hat sie fast dreißig Jahre als Köchin gearbeitet. Ein Jahr später legt sie ihren ersten Roman vor, der ein ebenso begeistertes Echo in der angloamerikanischen Presse findet. Mit Louise Kennedy meldet sich, so scheint es, eine Stimme zu Wort, die nicht in die gängigen Raster passt, eine Stimme von durchdringender Kraft. Nun liegt ihr Erstlingsroman „Übertretung“ im Steidl Verlag vor, wo man offenkundig eine hohe Sensibilität für außergewöhnliche irische Prosa hat. Zuletzt erschienen dort die grandiosen Bücher von Kennedys Landsfrau Claire Keegan.
Bomben und Misstrauen
Wovon „Übertretung“ erzählt, ist rasch gesagt, und doch gibt der eher herkömmlich wirkende Plot keine wirkliche Auskunft über das, was dieses Buches ausmacht. Eingebettet in einen sehr knapp gehaltenen Rahmen, der 2015 angesiedelt ist, konzentriert sich der Roman auf das Jahr 1975. Schauplatz ist das nordirische Belfast, wo die Nachwirkungen der militanten Auseinandersetzungen von 1969, die „Troubles“ zwischen Katholiken und Protestanten, das öffentliche Leben weiterhin prägen. Angst und Schrecken sind für die Menschen in der „Garnisonsstadt“ ständige Begleiter. Bomben gehen hoch, Misstrauen herrscht an allen Ecken und Enden. Niemand ist seines Lebens sicher.