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Bulgarien: Im Teufelskreis der Roma-Siedlung

Der dreijährige Hristo lebt in einer ärmlichen Hütte in der Roma-Siedlung Orlandovci mitten in Sofia.
Der dreijährige Hristo lebt in einer ärmlichen Hütte in der Roma-Siedlung Orlandovci mitten in Sofia.Thomas Seifert/Concordia
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Für die Roma-Minderheit ist der Ausbruch aus dem Elend schwierig. Diskriminierung und Fallen in der Bürokratie hindern sie am Aufstieg.

Sofia. „Kommt ihr, um uns unsere Kinder wegzunehmen?“ Es ist eine Frage, die Dinko immer wieder hört, wenn er in eine Roma-Siedlung kommt. Diese Legende geht seit einiger Zeit in Bulgarien um und wird auch immer wieder von Politikern aufgegriffen. Sozialarbeiter wie Dinko hören sie oft, wenn sie unterwegs sind, um Menschen zu helfen, sich aus dem Elend zu befreien.

„Russland versucht, weit rechts stehende Parteien in Europa zu stärken“, meint Georgi Bogdanov, Vorsitzender des Nationalen Kindernetzwerks. Unter anderem, indem die Mär von den gestohlenen Kindern verbreitet wird. Aber auch streng religiöse Organisationen aus den USA würden Propaganda verbreiten. An schwule Eltern, so wird gemunkelt, würden Kinder übergeben. Und nach Norwegen verkauft. In Gesellschaften wie in Bulgarien, wo das Wissen über Demokratie, Menschen- und Kinderrechte nicht so verbreitet sei, so Bogdanov, verfange derartige Propaganda besonders gut.

Vertrauen aufbauen

Desinformation wie diese machen es für Dinko nicht leichter. Wenn der Mitarbeiter der Sozialorganisation Concordia Kontakt aufnehmen will, muss er erst einmal Vertrauen herstellen. „Wir fahren mit dem Auto in die Communities, auf denen unser Logo zu sehen ist“, erzählt Dinko. Dann steigt er aus, raucht eine Zigarette. Meist wagen sich ein paar Kinder heran. Nach ihnen auch Erwachsene. Ist erst einmal ein Kontakt hergestellt, kommen Fragen. Oft geht es um medizinische Hilfe oder um rechtliche Probleme. Irgendwann ist das Vertrauen vielleicht so groß, dass die Eltern auch ihre Kinder in eines der Zentren von Concordia schicken.

Dinko ist seit 20 Jahren Sozialarbeiter, seit zehn Jahren arbeitet er bei der Sozialorganisation Concordia.
Dinko ist seit 20 Jahren Sozialarbeiter, seit zehn Jahren arbeitet er bei der Sozialorganisation Concordia.Thomas Seifert/Concordia

In den Tageszentren, die die aus Österreich stammende Sozialorganisation unterhält, können Kinder nach der Schule Hausaufgaben machen, mit Betreuern lernen – sie können essen, duschen und bekommen psychologische Betreuung. Dinge, zu denen sie daheim keinen Zugang haben.

„Die Kinder sollen ein besseres Leben haben“, meint Ilana. Die 55-Jährige ist die Großmutter des kleinen Hristo. Sie kümmert sich um ihn, weil seine Mutter gerade mit einem anderen Kind im Spital ist. „Meine Tochter soll ein echtes Haus haben“, meint Ilana, „nicht so leben müssen wie hier.“ Hier, das ist die Roma-Siedlung Orlandovci in Sofia.

Die Hütten in der Roma-Siedlung Orlandovci sind aus allen möglichen Materialien zusammengeschustert. Überall liegt Müll herum, befestigte Straßen gibt es nicht.
Die Hütten in der Roma-Siedlung Orlandovci sind aus allen möglichen Materialien zusammengeschustert. Überall liegt Müll herum, befestigte Straßen gibt es nicht.Thomas Seifert/Concordia

Es gibt Not, und es gibt Elend. Hier ist man in der zweiten Gruppe. Es sind ärmliche Hütten, aus Sperrholz und alten Möbeln zusammengestückelt, mit Wellblech abgedeckt, mit Teppichen isoliert. Strom gibt es keinen, auch kein Gas und kein Wasser. Immerhin, kalt ist dem dreijährigen Hristo nicht, der auf einer Bettdecke herumturnt. Denn ein kleiner Holzofen heizt das Innere auf.

Aus diesem Elend auszubrechen, ist nicht so einfach. Viele Bewohner der sogenannten Mahalas stecken in einem Teufelskreis. Sie haben keinen Ausweis – den bekommt man nur, wenn man eine Adresse hat. Die haben die meist illegal errichteten Roma-Siedlungen nicht. Ohne Ausweis gibt es aber oft keinen regulären Job.

Vielen fehlt das Wissen

Natürlich, es gibt Beispiele von Angehörigen der Roma-Minderheit, die es geschafft haben. Auch hat sich schon viel geändert – so gibt es mittlerweile schon die Möglichkeit, ohne feste Adresse an einen Ausweis zu kommen. Allein, in der Bürokratie werden viele Roma einfach hin- und hergeschickt. Ihnen fehlt es an Wissen. An Selbstbewusstsein. Und nach wie vor wollen viele nichts mit ihnen zu tun haben.

„Es gibt Diskriminierung“, bestätigt auch Iwanka Schalapatowa. Die neue bulgarische Arbeits- und Sozialministerin sieht aber auch die Roma selbst in der Verantwortung. Sie hätten sehr wohl Zugang zum Bildungs- und Gesundheitswesen, „aber es ist ein Problem, dass sie diesen Zugang nicht nützen.“ Manche Schulen in Gegenden mit vielen Roma seien sogar finanziell besser ausgestattet als andere, meint sie im Gespräch mit österreichischen Journalisten. Aber Segregation mit eigenen Roma-Schulen, die gebe es nicht.

Ivanka Schalapatowa, die neue Arbeits- und Sozialministerin, sieht auch ein Problem darin, dass Roma die zahlreichen Angebote nicht nutzen würden.
Ivanka Schalapatowa, die neue Arbeits- und Sozialministerin, sieht auch ein Problem darin, dass Roma die zahlreichen Angebote nicht nutzen würden.Thomas Seifert/Concordia

Diese Aussage aus dem Ministerium kann Ogynan Isaev nicht nachvollziehen: „Allein in Sofia gibt es zehn solcher Schulen, und die Qualität ist schlecht“, erzählt der Direktor der Stiftung für Soziale Errungenschaften und selbst Angehöriger der Roma-Minderheit. Und nicht nur das: Bei Abschlussprüfungen müsse man einen Ausweis vorzeigen. So könne es also vorkommen, dass man zwar eine Schule besuchen kann, aber eben keinen Abschluss bekommt.

Organisationen wie Concordia versuchen, dass sie Roma aus diesem Teufelskreis holen. Ihnen Chancen bieten – auf Bildung, Arbeit und ein besseres Leben. Womöglich an einem anderen, einem besseren Ort. Solange die Roma in illegalen Siedlungen leben, seien sie in ständiger Gefahr, erzählt Ogynan Isaev. Denn immer wieder werden ihre Mahalas von den Behörden zerstört. Besonders gern kurz vor Wahlen. Weil sich damit in der Bevölkerung gut Stimmung machen lässt.

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Das Sozialprojekt Concordia hilft in Bulgarien, Rumänien, der Republik Moldau und im Kosovo.
Spendenkonto: Concordia-Sozialprojekte
IBAN: AT28 3200 0000 1318 7893,
BIC: RLNWATWW
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Web: www.concordia.or.at

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