Gastkommentar

Wie Henry Kissinger Bruno Kreiskys gute PLO-Kontakte nutzte

Erinnerungen an die Nahost-Politik des verstorbenen früheren US-Außenministers.

In den Jahren 1973/74 spielte der am Mittwoch verstorbene Henry Kissinger eine wichtige Rolle im Nahen Osten, wo er eine „Pendelmission“ zwischen Israel und den arabischen Ländern unternahm, um ein Ende des Jom-Kippur-Krieges auszuhandeln und die Friedensbemühungen voranzubringen. Ihm wird auch die Vaterschaft über die „Roadmap“ der Übereinkunft zwischen Jassir Arafat, dem Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde, und Yitzhak Rabin, dem Ministerpräsidenten Israels, zugeschrieben. Dabei ging es um Fortschritte in der Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern.

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Im Zuge seiner „Pendelmission“ kam Henry Kissinger wiederholt in Wien vorbei, um Bundeskanzler Bruno Kreisky zu treffen. Kreisky war der erste westliche Politiker, der einen Gesprächskanal zu PLO-Chef Jassir Arafat aufgebaut hatte. Wie Kissinger jüdischer Herkunft, wurde Kreisky dafür nicht nur in Österreich, sondern in nahezu der gesamten westlichen Welt heftig kritisiert („Mit Terroristen redet man nicht!“).

Realpolitiker durch und durch

Kissinger, der natürlich über die Kontakte zwischen Kreisky und Arafat Bescheid wusste, nutzte diese auf diskrete Weise. Er kam nach Wien, berichtete Kreisky über den Fortgang seiner Gespräche mit der israelischen Führung (bis 1974 war Golda Meir Ministerpräsidentin, danach Yitzhak Rabin) und bat den Bundeskanzler, dazu die Meinung Arafats einzuholen.

Ich war damals als Mitarbeiter Kreiskys anwesend, als dieser die Auffassung Arafats an Kissinger weitergab, er wäre zur Anerkennung des Staates Israel bereit, sollte Israel gleichzeitig das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat anerkennen. Eine einseitige Vorleistung der PLO könne es nicht geben, weil diese damit ihren größten Trumpf im Verhandlungsprozess preisgeben würde. Ich höre noch, mit welchen Worten Kissinger das quittierte: „Ein kluger Kopf, der Vorsitzende Arafat!“

Diese Geschichte zeigt den Realpolitiker Kissinger, der in der damaligen Einschätzung der Nahostpolitik mit Kreisky, der erklärtermaßen Antizionist war, in vielen Punkten übereinstimmte. Auch sonst mochten sich die beiden.

Die Zwei-Staaten-Lösung

Heute ist unbestritten, dass Kreisky mit seinem seinerzeitigen Befund, der Nahe Osten werde nie zur Ruhe kommen, ehe nicht die Palästinenserfrage gelöst sei, recht behalten hat. Gerade die Ereignisse der vergangenen Wochen beweisen das. Die Idee der Zwei-Staaten-Lösung geht auf die Mitte der 1970er-Jahre zurück, und Kreisky war einer der ersten Befürworter. Eine wichtige Etappe war der Oslo-Friedensprozess, der eine 1993 begonnene Serie von Abkommen zwischen der PLO und Israel beschreibt. Nach der Ermordung Rabins am 4. November 1995 geriet der Friedensprozess ins Stocken.

Die Idee einer Zwei-Staaten-Lösung – die Schaffung eines unabhängigen Palästinenserstaates neben dem Staat Israel – erlebt gerade eine Renaissance. Nicht nur die israelische Opposition, auch die USA, die EU, arabische Staaten und die UNO bringen dieses Ziel als gleichsam ultimative Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes wieder aufs Tapet. Ob daraus etwas werden kann, bleibt fraglich, weil die Voraussetzungen dafür eher schlechter geworden sind: Der Siedlungsbau in den von Israel besetzten Gebieten ist weit fortgeschritten, die palästinensische Autonomiebehörde gilt als schwach, und die politische Rechte in Israel steht diesem Projekt seit jeher ablehnend gegenüber.

Aber etwas Besseres als die Zwei-Staaten-Lösung ist auch nicht in Sicht. Politische Fantasie auf allen Seiten und die Bereitschaft zum Dialog sind gefordert.

Johannes Kunz (* 1947) war von 1973 bis 1980 Pressesprecher des damaligen österr. Bundeskanzlers, Bruno Kreisky.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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