Junge Forschung

Mit Kreativität Kriege aushebeln

Leonhard Müllner (im Bild beim Deserteursdenkmal mit Hündin Charlotte) verhandelt Fahnenflucht in Videospielen und stellt historische Bezüge her.
Leonhard Müllner (im Bild beim Deserteursdenkmal mit Hündin Charlotte) verhandelt Fahnenflucht in Videospielen und stellt historische Bezüge her.Caio Kauffmann
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Medienforscher Leonhard Müllner erkundet, welche Ideologien sich in apokalyptischen Shooter-Computerspielen verstecken und wie künstlerische Eingriffe sie sichtbar machen.

Leonhard Müllner liebt die Irritation. Sei es durch das Engagement einer Tiroler Blaskapelle, die Autobahnlärm vertont. Sei es durch ein auf die Fingerknöchel tätowiertes „Karl Marx“. Sei es durch eine virtuelle Architekturführung im kriegerischen Computerspiel „Tom Clancy’s The Division“. Ersteres war Teil seiner Masterarbeit über Kunst im öffentlichen Raum, Letzteres ist ein Beispiel für seine Online-Interventionen und In-Game-Performances, die mittlerweile mehrfach bei Filmfestivals ausgezeichnet wurden. Und die Tätowierung? Eine unzweideutige, wenn auch augenzwinkernde Anspielung auf die Wurzeln seiner theoretischen Arbeit an der Kunst-Uni Linz, wo Müllner im vergangenen Jahr promoviert hat.

Die Blockbuster unter den Videospielen

Als selbstständiger Medienforscher und Kulturwissenschaftler beschäftigt sich der 36-Jährige mit aufwendig und kostspielig produzierten Schießvideospielen (Triple A Shooter), mit denen ihn, selbst Gamer, eine „Hassliebe“ verbindet. Müllner interessiert dabei, wie diese zweckentfremdet genutzt werden können – von ihm selbst als Teil des Medienguerilla-Kollektivs Total Refusal, aber auch von anderen Spielenden. In seiner Doktorarbeit spürte er davon ausgehend dem Einfluss von Politik und Ökonomie auf das Massenmedium nach und machte darin eingeschriebene Ideologien sichtbar. Er zeigte etwa, wie die in Computerspielen vermittelten Weltanschauungen durch kreative Eingriffe dekonstruiert werden können.

Ein Beispiel dafür ist der Kurzfilm „How to Disappear“, der durch die Initiative „Artificial Museum“ aktuell auch mit dem Denkmal für Verfolgte der NS-Militärjustiz auf dem Wiener Ballhausplatz als erzählerische Erweiterung („Was ist ein Deserteur?“) mittels QR-Code vor Ort verknüpft wurde. „Das Videospiel ist ein extrem faszinierendes Medium, weil es viel Energie und Geld an sich bindet, mehr als andere Unterhaltungsmedien“, sagt Müllner. So macht die Gaming-Branche, an der auch die Rüstungsindustrie verdient, Umsätze im dreistelligen Milliardenbereich. „Daraus entwickelt sich eine Widersprüchlichkeit. Man kennt das aus dem Sport: Je mehr Geld involviert ist, desto mehr Ideologie kommt ins Spiel.“ Diese sei gut versteckt: „Man will niemanden verschrecken, sondern im Gegenteil die alte, teilweise sehr konservative Zielgruppe behalten und neue Zielgruppen erreichen.“ Als Konsequenz bestimmen ökonomische Zwänge die Inhalte.

In der Welt von Tom Clancy

„Massenmedien zeigen, wie die Gesellschaft funktioniert. Hier wird der Konsens wiederholt“, erklärt Müllner. „Wie schaut ein Mann aus? Wie die Natur? Wie Normalität? Ein Massenmedium ist ein Mikroskop, mit dem man gut in die Seele einer Gesellschaft blicken kann.“ Konkret untersuchte der gebürtige Grazer Schießspiele des Unternehmens Ubisoft wie „Ghost Recon“ oder „Splinter Cell“, die sich der Weltdarstellung des Bestsellerautors Tom Clancy („Jagd auf Roter Oktober“) bedienen. „Clancy hat die paranoiden Bilder des Kalten Kriegs ausgeschlachtet und die damit verbundenen Ängste in Sprache übersetzt.“ Der Gamer oder die Gamerin muss in den dystopischen Welten die Ordnung „im Namen Amerikas“ wiederherstellen. Im Kontrast dazu: die vielfach empfundene Ausweglosigkeit der kapitalistischen Realität durch prekäre, stressige Jobs und eine machtlose Politik der Wirklichkeit.

»Ein Massenmedium ist ein Mikroskop, mit dem man gut in die Seele einer Gesellschaft blicken kann.«

„Kreative Eingriffe in das Spiel sind eine Möglichkeit, die darin eingebaute symbolische Ordnung der Welt zu kritisieren oder ein alternatives Handeln zu besprechen“, so der Kulturwissenschaftler. Dazu zählen kooperative Netzwerke in einer Spielwirklichkeit, die eigentlich auf Krieg aus ist, etwa, um im All gestrandete Spielende unter großem Zeitaufwand mit Treibstoff zu versorgen, genauso wie die Aneignung von Waffen und Statisten für nicht vorgesehene Aktivitäten oder die unterhaltsame Bearbeitung von kurzen, aufgezeichneten Sequenzen für Social Media.

„Ich habe mein banales Hobby Computerspielen doppelt zur Arbeit gemacht: als Filmemacher und Wissenschaftler“, sagt lachend Müllner danach gefragt, was ihm Zerstreuung von der Forschung bringe. „Ein Ende der Arbeit in dem Sinn gibt es nicht.“

Zur Person

Leonhard Müllner (36) studierte Bildende Kunst und Medienkunst in Linz, Wien und Leipzig. Der Kulturwissenschaftler und Medienforscher promovierte über gesellschaftliche Wertebildung durch Videospiele und künstlerische Interventionen. Im 2018 gegründeten Medienguerilla-Kollektiv Total Refusal beschäftigt er sich damit in Kurzdokus.

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