Junge Forschung

Nicht schreien, deutlich sprechen

Sarah Kühne geht Forschungsfragen gern mit unterschiedlichen Methoden an, um die Schwächen einzelner Settings auszugleichen.
Sarah Kühne geht Forschungsfragen gern mit unterschiedlichen Methoden an, um die Schwächen einzelner Settings auszugleichen.Frederick Sams
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Die Gesundheitswissenschaftlerin Sarah Kühne ist schwerhörig und erforscht Aspekte aus dem Leben Betroffener. Aufenthalte in New York und Irland brachten neue Perspektiven.

Nach der Matura in Vorarlberg zog ­Sarah Kühne 2004 nach Graz: „Ich habe Umweltsystemwissenschaften inskribiert. Aber das war mir zu theoretisch.“ So sattelte sie auf Medizin um. „In dem Jahr hat die Med-Uni Graz erstmals Gesundheits- und Pflegewissenschaften angeboten. Das habe ich parallel begonnen“, erzählt Kühne. Sie ist seit der Geburt hochgradig schwerhörig und hat sich bald ganz für zweiteres Fach entschieden. „Als Medizinerin könnte meine Schwerhörigkeit in heiklen Situationen eine Hürde sein, etwa wenn es hektisch ist oder es um Namen von Medikamenten geht, die man missverstehen kann.“

Ihre Begeisterung für Forschung wuchs beim ersten Praktikum an der Ostschweizer Fachhochschule – nahe von Nenzing, wo sie aufwuchs. Dort war die Frage, wie man Leute in Pflegeberufen unterstützen kann, auf dem neuesten Stand der Forschung zu bleiben. „So war ich beim Anfang der Wissensplattform FIT-Nursing Care dabei, die Pflegepersonen Forschungswissen zugänglich macht.“

Menschen auch digital fit machen

Seit der Dissertation ist auch Schwerhörigkeit ein Fokus ihrer Forschung, bis heute an der Fachhochschule Vorarlberg (FHV) in Dornbirn, wo Kühne seit 2012 arbeitet. „Es ist nicht immer leicht, Gelder für die Projekte aufzutreiben.“ Bisher wurde die Forschungsgruppe Empirische Wissenschaften aus dem Interreg-Topf der EU sowie vom Wissenschaftsverbund Vierländerregion Bodensee unterstützt.

Aktuell wartet das Team der FHV, ob ihr Antrag bei EU-Horizon genehmigt wird. „Wir möchten Personen aus vulnerablen Gruppen den Zugang zu digitalen Gesundheitsdiensten erleichtern.“ Ideen sind ein Chat-Bot und andere digitale Werkzeuge wie „Serious Games“, um Wissenslücken zu schließen und digitale Kompetenz zu stärken.

Während des Doktorats lebte Kühne 2015 ein Jahr in New York. Das Marietta-Blau-Stipendium der ÖAW finanzierte den Forschungsaufenthalt an der City University of New York (CUNY). „Meine Mentorin Barbara Weinstein ist eine Koryphäe in der geriatrischen Audiologie. Sie hat ein weltbekanntes Gerät zur Messung des Hörhandicaps entwickelt, das ich zur Datenaufnahme verwendete.“ In dem Jahr war zugleich Kühnes Mann beruflich in NY. Sie wohnten auf Long Island: „Ich war mit dem Zug in einer halben Stunde an der Uni. Es war ein tolles Jahr.“

In der Dissertation forschte Kühne, wie es Menschen mit Altersschwerhörigkeit geht: „Welche Unterstützung erfahren Betroffene? Wie gehen sie mit Alltagssituationen um? Ich habe verschiedene Methoden gewählt: Lange qualitative Interviews mit Einzelnen und quantitativ mit Fragebögen für die Breite.“ Solche „Mixed Methods“ bevorzugt Kühne auch an der FHV, um Schwächen einzelner Herangehensweisen auszugleichen.

»Ich habe durch ein Forschungstagebuch darauf geachtet, Gefühle und Objektivität auseinanderzuhalten.«

Den Zugang zu Betroffenen erhielt Kühne über das Landeszentrum für Hörgeschädigte Vorarlberg. „Vieles im Gespräch mit den älteren Menschen war mir aus eigener Erfahrung bekannt“, sagt Kühne. Dass das Umfeld oft anfängt zu schreien, statt deutlich zu sprechen, dass Familienangehörige stets für die Betroffenen „mithören“ und dass sich Schwerhörige manchmal zurückziehen, wenn es laut wird. „Ich habe durch ein Forschungstagebuch stark darauf geachtet, Gefühle und Objektivität auseinanderzuhalten und die Distanz zu bewahren.“

Die Kunst hilft

2021 kam Kühne nach Karenzzeiten zur Forschung zurück. „An der FHV war es kein Problem, in Karenz zu gehen. Beim ersten Kind nahm ich ein Jahr, beim zweiten Kind zwei Jahre Elternzeit“, erzählt die junge Mutter, die nun in Teilzeit forscht. So bleibt Zeit für ihre Hobbys, bei denen sie Ruhe findet. „Als Schwerhörige ist vieles anstrengender. Das künstlerische Arbeiten hilft mir sehr“, sagt Kühne, die malt, näht, stickt und sich der Schriftkunst (Hand Lettering) widmet.

Heuer im Sommer war die ganze Familie einen Monat in Irland, als Kühne in Limerick forschte: „Ich habe gelernt, wie künstlerische Praktiken im Gesundheitssetting sinnvoll sind. Ich möchte Menschen mit Schwerhörigkeit durch kreative Methoden den Umgang mit ihrer Erstdiagnose erleichtern.“

Zur Person

Sarah Kühne (39) promovierte an der Med-Uni Graz. An der FH Vorarlberg erforscht sie, wie Menschen mit Schwerhörigkeit leben und was ihnen den Alltag erleichtert. Derzeit arbeitet die Mutter zweier Kinder auch im FHV-Projekt zum Inklusionsmonitoring des Landes und möchte künstlerische Methoden im Gesundheitssetting etablieren.

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