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Klimabücher, die erklären, berühren und aufrütteln

Ratgeber, Wissensvermittler, Pamphlete: Klimabücher füllen in Buchhandlungen mittlerweile ganze Regalwände.
Ratgeber, Wissensvermittler, Pamphlete: Klimabücher füllen in Buchhandlungen mittlerweile ganze Regalwände. Veam/Westend61/picturedesk.com
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Lektüre zur Klimakrise muss nicht deprimieren. Sich zu informieren, mitunter auf unterhaltsame Weise, öffnet den Denkraum und setzt so Ohnmachtsgefühlen etwas entgegen. Einige Empfehlungen aus der Redaktion.

Manchmal ist es ein einziger Satz, der sich einprägt. Wie dieser: „Um ein Freund der Erde zu sein, muss man ein Feind der Menschen werden“ (T. C. Boyle, frei nach Henrik Ibsen). Manchmal ist es auch ein Bild, etwa die Gegenüberstellung von Nasa-Aufnahmen zur dramatischen Eisschmelze in der Antarktis. Oder es ist eine neue Perspektive auf ein altbekanntes Dilemma, etwa das Pendeln. Die hier vorgestellten Klimabücher haben jedes auf seine Art einen Nerv bei den Redakteurinnen und Redakteure des Klima-Teams der „Presse“ getroffen.

Gedankenexperimente vom Ende

Die Dystopien nehmen zu, der Zeitgeist ist durchwachsen von Alarmismus, und ja, alles erinnert irgendwie an eine Neuauflage des berühmten „No Future“ der Punkbewegung. Und mittendrin ein Mensch, der vom biologischen Agenten zu einer geologischen Macht geworden ist. In ihrem essayistischen Buch „In welcher Welt leben“ nehmen die Philosophin Deborah Danowski und der Anthropologe Eduardo Viveiros de Castro aktuelle Diskurse über das Ende der Welt als Gedankenexperimente ernst. Dabei wird deutlich: Es sind vor allem Szenarien des Niedergangs der westlichen Zivilisation. Und es zeigt sich, in Sachen Weltuntergang können wir von den indigenen Kollektiven Amerikas – hier liegt der Fokus des brasilianischen Autorenteams – einiges lernen. Leisten diese doch in einer verarmten Welt, die nicht einmal die ihre ist, Widerstand. Viele von ihnen erlebten im Laufe ihrer Geschichte bereits mehrere „Enden“, auch in präkolumbianischer Zeit. Nachdem Danowski und Viveiros de Castro das Ausmaß der gegenwärtigen Katastrophe eindrücklich vor ihrer Leserschaft ausgebreitet haben, folgt das vielleicht überraschende Plädoyer, nicht aufzuhören, an die Welt zu glauben. Denn das Ende der Welt ist nicht das Ende aller Zeiten und ein globales Rückbesinnen auf das „Indio-Sein“ zumindest nicht undenkbar. (cog)

Eduardo Viveiros de Castro, Deborah Danowski; <strong>„In welcher Welt leben?“; </strong>Matthes & Seitz; 192 Seiten; 25,90 Euro
Eduardo Viveiros de Castro, Deborah Danowski; „In welcher Welt leben?“; Matthes & Seitz; 192 Seiten; 25,90 Euro

Aufruf zum Stadtleben

Welcher Lebensstil der klimafreundlichste ist, wird in dem inzwischen zwei Jahre alten Buch des austroamerikanischen Autors Gernot Wagner – er ist Klimaökonom und forscht als solcher an der University of Columbia zu den Folgen des Klimawandels – sehr deutlich beantwortet: Zieht in die Stadt und meidet Suburbia. Denn das Pendeln zwischen dem Arbeitsplatz in der Stadt und dem Haus im Grünen ist Wagner zufolge das Klimaschädlichste, das man machen kann. Und Wagner weiß, wovon er spricht. Er selbst gibt in dem leichtfüßig erzählten Text Beispiele aus dem alltäglichen Leben, die man schnell ändern und damit das Klima schonen könnte. Dass ihm das alltagsnahe Schreiben liegt, zeigt sich auch im Umstand, dass er eine regelmäßige Klima-Kolumne („Risky Climate“) für den Nachrichtendienst Bloomberg verfasst. (juwe)

Gernot Wagner; <strong>„Stadt. Land. Klima“</strong>; Brandstätter-Verlag; 200 Seiten; 23 Euro
Gernot Wagner; „Stadt. Land. Klima“; Brandstätter-Verlag; 200 Seiten; 23 Euro

Ein Stakkato an aufrüttelnden Fakten

Die Grande Dame der Klimaforschung in Österreich hat im Herbst ihr neues Buch veröffentlicht. Helga Kromp-Kolb schreibt darin gegen lähmenden Pessimismus und Jammern an. Doch zunächst reiht sie, verknüpft mit persönlichen Erinnerungen, auf rund 200 Seiten vor allem Fakten hintereinander, die es in sich haben: historische, aktuelle und solche, die eine mögliche (düstere oder zumindest ungewisse) Zukunft betreffen. Zur Ermunterung kommt sie erst ganz zuletzt. So viel geballte Wahrheit tut weh – regt aber zugleich an, etwas zu ändern und sich auch an kleinen Verbesserungsschritten zu freuen. In Zeiten, in denen sich Österreich mit der Bodenversiegelung jeden Tag weiter die Zukunft verbaut und seit Jahren keine Einigung über ein Klimaschutzgesetz gelingt, vielleicht auch die passende Lektüre für jene, die hier – schon viel zu lang – nicht entscheiden. (gral)

Helga Kromp-Kolb; <strong>„Für Pessimismus ist es </strong> <strong>zu spät“</strong><u>; </u>Molden-Verlag; 208 Seiten; 27 Euro
Helga Kromp-Kolb; „Für Pessimismus ist es zu spät“; Molden-Verlag; 208 Seiten; 27 Euro

Sachlichkeit ohne Horror

Kleinen Kindern den Klimawandel zu vermitteln ist einerseits ein Gebot der Stunde – gerade in der (Vor-)Weihnachtszeit, in der von allen Seiten Konsum propagiert wird und oft schon im Adventkalender viel Kleinzeug landet, das meist nicht mehr Sinn stiftet, als eben in den Adventkalender zu passen. Andererseits will man den Kleinen ja keine Albträume bescheren, und pädagogisches Geschwurbel kommt ohnehin nicht gut an. Ein Bilderbuch, das die Gratwanderung zwischen Wissenschaft und Unterhaltung schafft und die Klimakrise sachlich, aber ohne Horrorszenarien darstellt, ist „Planet Erde“ von Stacy McAnulty (Text) und David Litchfield (Illustrationen). Warum gibt es nur auf der Erde Leben? Was unterscheidet Wetter und Klima? Wodurch gerät die Atmosphäre durcheinander? Und was können wir tun? All diese Fragen werden kindgerecht und mit entzückenden Illustrationen beantwortet. Am Schluss gibt es dann noch eine Seite mit wissenschaftlichen Fakten. (tom)

Stacy McAnulty; <strong>„Planet Erde“</strong>; Gabriel-Verlag; 40 Seiten; 16 Euro (ab 4 Jahren)
Stacy McAnulty; „Planet Erde“; Gabriel-Verlag; 40 Seiten; 16 Euro (ab 4 Jahren)

Müll wissenschaftlich geordnet

Michael Stachowitsch ist Meeresbiologe an der Uni Wien. Er geht das Thema Umweltverschmutzung von ungewöhnlicher Seite an. Alles, was an Müll auf den Stränden dieser Welt liegt, sortiert er im Buch „Mülleimer Strand“ nach Kriterien, wie man sie aus Biologie-Bestimmungsbüchern kennt. Übersichtlich zählt er zu jedem „Strandgut“ (von Überraschungsei über Kloschüssel bis Silvesterrakete) auf, woher es stammt, wie und wann es sich zersetzt, welche Gefahren es birgt und welche alternativen Ideen zur Abfallvermeidung es gibt. Zusammengesetzte Materialien sind nach der Hauptkomponente eingeordnet, eine Glühbirne also bei Glas, obwohl das Metall länger als Müll sichtbar ist. Fast 700 Fotos dokumentieren die Abfallsammlung. Die Texte sind ausführlich und unterhaltsam, mit vielen Aha-Effekten: etwa, dass maschinelle Strandsäuberungen für den Lebensraum Küste schädlich sind. (vers)

Michael Stachowitsch; <strong>„Mülleimer Strand“</strong>;<strong> </strong>Springer-Verlag; 420 Seiten; 34,50 Euro
Michael Stachowitsch; „Mülleimer Strand“; Springer-Verlag; 420 Seiten; 34,50 Euro

Plädoyer für den Systemwandel

„System change not climate change“ ist so eine Phrase, die auf Plakaten einschlägig engagierter Menschen immer einmal wieder zu lesen ist. Wer sich noch fragt, ob es diese Systemveränderung wirklich braucht und wie sie ausschauen könnte, der wird in Naomi Kleins „How to Change Everything“ einige Antworten finden. Ihr zufolge steht die Menschheit vor einer radikalen Entscheidung: Sollen wir das Klima retten – oder ein kapitalistisches Wirtschaftssystem? Ihr gelingt nicht nur ein mitreißender geschichtlicher Abriss der Umweltzerstörung, die mit Industrialisierung und wirtschaftlicher Liberalisierung einherging, sie zeigt auch auf, wie komplementär dazu Umwelt- und Naturschutzbewegungen, oft zu kompromissbereit und angepasst, immer wieder den Kürzeren zogen. Lösungen erhofft sie sich nicht von individueller Veränderung des eigenen Lebensstils, sondern von inklusiven Protestbewegungen, Klimaklagen und dem politischen Umbau zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem. Mut machende Beispiele, wie und wo das bereits gelungen ist, liefert Naomi Klein auch gleich mit. (chrima)

Naomi Klein; <strong>„How to Change Everything“</strong>; Hoffmann und Campe; 256 Seiten; 18,95 Euro
Naomi Klein; „How to Change Everything“; Hoffmann und Campe; 256 Seiten; 18,95 Euro

Die Natur beißt zurück

Schon in „Ein Freund der Erde“ (2000) hat T. C. Boyle bewiesen, dass er Klimawandel-Roman kann. Und was soll man sagen? Manchmal ist die Fiktion tatsächlich die bessere Vermittlerin der Wirklichkeit. Im heuer erschienenen „Blue Skies“ lässt sich am Beispiel einer Familie satirisch zugespitzt nachlesen, wie die eklatanten Folgen der Krise – Überschwemmungen, Hitze – die Lebensgewohnheiten empfindlich lenken. Der Ernstfall ist Alltag geworden. Was aber nicht automatisch den radikalen Wandel aller zu Ökologie und Nachhaltigkeit im großen Stil gebracht hat (wen wundert’s wirklich?). Und so entfalten sich die Tragödien mannigfach, auch innerhalb des kontrastreichen Figuren­ensembles (der Bruder ist Insektenforscher und Ökoaktivist, die Schwester legt sich indes einen Tigerpython als Lifestyle-Requisit zu, die Mutter fühlt sich allem voran schuldig). Ergebnis ist ein amüsantes Schaudern. (cog)

T. C. Boyle; <strong>„Blue Skies“</strong>; Hanser-Verlag; 400 Seiten; 29,50 Euro
T. C. Boyle; „Blue Skies“; Hanser-Verlag; 400 Seiten; 29,50 Euro

Zwischen den Zeiten wandern

Wunderbare Zeichnungen haben uns die Steinzeitmenschen in den Höhlen von Pech Merle hinterlassen, wir hinterlassen unseren Nachfahren im Atommüllendlager in Bure eine „vergiftete Ewigkeit“. Der französische Zeichner Étienne Davodeau verbindet diese zwei Orte. Mit Stift und Block hat er sich auf eine 800 Kilometer lange Wanderung begeben. Was er dabei erlebt, fühlt und erfährt, teilt er in der Graphic Novel „Das Recht der Erde“ mit. Es ist ein Buch, das aufrüttelt. Der Autor erzählt von erhabenen Momenten, in denen er sich aufgehoben fühlt in der Natur, allein mit seinem Zelt. Aber auch von wunden Füssen, von Nässe und Hunger. Zwischendurch gibt es Fakten: Wissenschaftler begleiten ihn immer wieder. Etwa Bernard Laponche. Der Physiker war an der Entwicklung der ersten französischen Kernkraftwerke beteiligt. Heute ist er Aktivist und Kraftwerksgegner. Er erklärt Davodeau und dem Leser, der Leserin, welche Gefahren vom Atommüll ausgehen. „Die Kernkraft ist die gefährlichste Art, um Wasser zu kochen“, so sein Resümee. (tom)

Étienne Davodeau; „Das Recht der Erde“; Carlsen-Verlag; 216 Seiten; 28,50 Euro (ab 12 Jahren)
Étienne Davodeau; „Das Recht der Erde“; Carlsen-Verlag; 216 Seiten; 28,50 Euro (ab 12 Jahren)

Wir wissen schon lang, was Sache ist

Nicht mehr und nicht weniger als einen „Survival-Guide für die Erde“ (Oekom-Verlag) verspricht der Report, der vom Club of Rome im Herbst des Vorjahres veröffentlicht worden ist – 50 Jahre nach der Erstauflage der „Grenzen des Wachstums“. Die Forschenden erstellen in neun Kapiteln Szenarien, wie der Planet genesen kann und die planetaren Grenzen nicht überschritten werden. Der Bericht gibt konkrete Handlungsanleitung. Neu ist die Zusammenstellung, die Themen allerdings sind das nicht. Denn das Wissen um die drängendsten Umweltprobleme und die möglichen Lösungsansätze sind, auch das macht dieses Buch klar, altbekannt. 1972 traf der damalige Report des Club of Rome zur Lage der Menschheit, so der Untertitel, den Nerv der Zeit. Die Grundthese lautete: Die Erde ist ein begrenzter Planet, die Ressourcen sind begrenzt und die Belastbarkeit der Systeme ist begrenzt. Es war das erste Buch, das mit einem Computermodell arbeitete und die Menschheit aufforderte, einen Gleichgewichtszustand anzustreben. Dazu müsste es gelingen, „die Verhältnisse in den Entwicklungsländern grundsätzlich (zu) verbessern, absolut und relativ gesehen zu den hoch entwickelten Industrienationen“. (milo)

Sandrine Dixson-Declève et al.; <strong>„Earth for All“</strong>; Oekom-Verlag; 256 Seiten; 26,50 Euro
Sandrine Dixson-Declève et al.; „Earth for All“; Oekom-Verlag; 256 Seiten; 26,50 Euro

Empfehlenswert sind auch folgende vor Jahrzehnten erschienene Bücher mit vielen Vorschlägen, die nach wie vor ihrer Umsetzung harren: „Global 2000. Der Bericht an den Präsidenten“ (1980, US-Council on Environmental Quality), „Das Überleben sichern. Der Brandt-Report“ (1980, Nord-Süd-Kommission), „Our Common Future“ (1987, The World Commission on Environment and Development) und „The World Environment 1972–1992“ (1992, Unep).

Ein Blick in die Geschichte

Global 2000. Der Bericht an den Präsidenten: Der (damals frisch gewählte) Präsident Jimmy Carter, ein Demokrat, hat das US-Außenministerium und den „Council on Environmental Quality“ beauftragt, die „voraussichtliche Veränderungen der Bevölkerung, der natürlichen Ressourcen und der Umwelt der Erde bis zum Ende des Jahrhunderts“ zu untersuchen. Veröffentlicht wurde der Bericht im Juli 1980. Darin wurde, unter kräftiger Mitwirkung der CIA, das Wissen über die Umweltprobleme in einem dicken Band zusammengetragen. Carter wollte dem Taten folgen lassen – das zeigt der Umstand, dass auf dem Dach des Weißen Hauses Fotovoltaik-Zellen montiert wurden. Aber: Carter wurde nicht wiedergewählt, sein Nachfolger Ronald Reagan ließ die PV-Zellen einmotten.

Das Überleben sichern – Der Brandt-Report: Der Bericht der Nord-Süd-Kommission geht auf die Initiative des deutschen Ex-Kanzlers Willy Brandt zurück. Die Schlussfolgerungen der international besetzten Kommission wurden 1980 veröffentlicht und zeigen die ungleiche Verteilung der Güter. Breiten Raum nimmt auch die Darstellung der Umweltbelastungen und -probleme ein. Schon damals standen Verlust der Artenvielfalt und eine Änderung des Klimas auf dem Programm. In den Empfehlungen der Kommission heißt es unter anderem, dass „alle Nationen nachdrücklicher zusammenarbeiten müssen in der internationalen Verwaltung der Atmosphäre und anderer weltweiter Gemeinbesitze und bei der Verhinderung nicht wiedergutzumachender Umweltschäden“.

Our Common Future: Das Buch ist 1987 auf Initiative der norwegischen Premierministerin Gro Harlem Brundtland zusammengestellt worden. Es ist ein Aufruf zu Ressourcenschonung, zu einer nachhaltigen Entwicklung, zur Bekämpfung der Armut. Lösungen, die heute präsentiert werden, haben ihre Wurzeln in diesem Band. In ihm werden auch die Gefahren eines sich ändernden Klimas klar umrissen, ebenso der Belastung der Böden durch Chemie oder der Entwaldung. Das Buch knüpft dort an, wo Brandt-Report und „Global 2000“ aufhören und entwickelt Szenarien für eine nachhaltige Welt.

The World Environment 1972–1992; two decades of challenge: Dieser Band erschien anlässlich des 20-jährigen Bestehens des UN-Umweltprogramms und ist starker Tobak. Auf 884 Seiten werden die ökologischen Probleme dargelegt – und es sind jene, die uns auch heute beschäftigen. Das Vorwort des damaligen UNEP-Chefs Mostafa K. Tolba beginnt mit diesem Satz: „Unser Planet ist im Belagerungszustand“ – an erster Stelle genannt wird der Klimawandel. Schon damals – vor mehr als drei Jahrzehnten – war klar, wo der Hebel anzusetzen ist. Wirklich ernst genommen hat dies damals keine Regierung. (milo)

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