Unterwegs

Manche mögen‘s kalt: Der seltsame Wandel der Italiener

Früher lachten wir über Italiener, weil für sie der Winter zehn Monate dauerte. Heute sind sie es, die uns frösteln machen.

Es ist länger her, da besuchten mich zur Winterzeit Italiener, ein Pärchen aus Verona. Sie wollten Wien besichtigen, ihr Geist war willig, aber ihrem Fleisch war kalt. Alle 200 Meter verlangten sie mit lautem Wehklagen wärmende Einkehr. So wurde aus der geplanten Sightseeingrunde ein an Stationen reicher Kaffeehausparcours. Damals waren Italiener in nördlichen Gefilden generell leicht zu identifizieren: Ihre bunten Invicta-Rucksäcke hingen über dicken Daunenanoraks, die sie allenfalls in hochsommerlichen Hitzeperioden kurz ablegten.

Tempi passati. Heute sitzen die venezianischen Studenten am Campo Santa Margherita auch im Dezember schwarmweise draußen, und schon ihr Anblick macht uns frösteln. Denn die sechs Grad, die das Thermometer abends anzeigt, sind in der feuchten Meeresluft gefühlt minus zwei. Sie vergnügen sich dort ohne Heizschwammerln, Decken oder Glühwein (der ihnen als vino caldo durchaus geläufig wäre). Stattdessen trinken sie tapfer ihren geliebten Spritz, der ja aus dem Veneto stammt, wie gewohnt mit Eiswürfeln. Ein paar rauchen, das ergäbe ein Motiv, aber die meisten nicht. Und die Terrassen sind voll, obwohl in der guten Stube drinnen genug frei wäre.

Wir rätseln. Doch da fällt uns ein: Immer mehr Südländer, die nach Österreich ziehen, antworten auf besorgte Fragen, wie sie den hiesigen Frost vertragen, voller Emphase: „Ich liebe die Kälte!“ Liegt es an der Klimakrise, dass sie sehnsüchtig suchen, wovor Menschen einst flohen? Vielleicht wird ja bald auch uns an eisigen Tagen ganz warm ums Herz.

karl.gaulhofer@diepresse.com

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