Endzeitfilm

„Leave The World Behind“: Julia Roberts ist hier nicht auszustehen

Ein durchdringender Ton bringt Amanda (Julia Roberts) an den Rand der Verzweiflung.
Ein durchdringender Ton bringt Amanda (Julia Roberts) an den Rand der Verzweiflung.(c) Netflix
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In „Leave The World Behind“ erleben zwei Familien den Untergang der Zivilisation. Julia Roberts, bisher „America‘s Darling“, überzeugt auf Netflix als Misanthropin.

Sie haben einen wirklich guten Zeitpunkt für ihren Wochenendausflug ausgesucht: Das überarbeitete Paar Amanda (Julia Roberts) und Clay (Ethan Hawke) verlässt New York, kurz bevor dort das Chaos ausbricht. Sie sitzen mit ihren Kindern im Auto, jeder ist mit sich selbst beschäftigt. Respektive mit dem jeweiligen Handy oder Tablet. Bis die Geräte nicht mehr funktionieren. Das fällt aber niemandem wirklich auf – schließlich sind die vier schon beim luxuriösen Haus angekommen, das Amanda gebucht hat. Durch die Glasfronten sieht man einen perfekten Garten und Pool. Und das Meer ist nahe.

Ein wenig wundert man sich: Wie lang kann diese Familie die Anzeichen dafür ignorieren, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt? Freilich, die gut gesetzte Musik, die dem Zuschauer kalte Schauer über den Rücken jagt, hört sie nicht. Aber was ist mit dem Öltanker, der direkt vor ihnen den Strand rammt? Was mit dem Ausfall der Kommunikationstechnik? Und warum steht spätabends – Amanda und Clay haben sich schon ein oder zwei Flaschen Wein gegönnt – plötzlich dieser elegante Mann (Mahershala Ali) mit seiner Tochter (Myha’la Herrold) vor der Haustür und bittet höflich um Obdach, weil dieses Haus schließlich seines sei?

Clay (Ethan Hawke) lässt Vater und Tochter ins Haus.
Clay (Ethan Hawke) lässt Vater und Tochter ins Haus.(c) Netflix

Amanda ist mehr als skeptisch gegenüber dem Mann, der von einem Blackout in New York erzählt. Unfreundlich, geradezu barsch fragt sie ihn aus. Will die Bestimmungen des Airbnb-Vertrags checken. Und lässt nur widerwillig zu, dass er mit seiner Tochter schließlich das Gästezimmer im Keller bezieht. In einer so herben, ja unsympathischen Rolle hat man Julia Roberts bisher nicht erlebt. Der unterschwellige Rassismus (die Kleinfamilie ist schwarz) paart sich mit Misanthropie („Ich hasse Menschen“ sagt Amerikas „Darling“ mehr als einmal). Und einer Vorahnung, dass der Mann vielleicht mehr darüber weiß, warum im Hintergrund die Welt auseinanderfällt. Schwer verzeihen kann man der Figur auch die beiläufige Gleichgültigkeit, die sie ihren Kindern gegenüber zeigt.

Kunstvoll anschwellende Verstörung

Üblicherweise kleckern Endzeitfilme nicht, sie klotzen. Bei „Leave the World Behind“, seit dem Wochenende auf Netflix zu sehen, sind es aber die kleinen Dinge, die uns auf den Zusammenbruch der Welt (oder zumindest der USA) aufmerksam machen. Regisseur Sam Esmail („Mr. Robot“) lässt die Verstörung kunstvoll anschwellen. Mit Rehen, die in Scharen kommen. Und einfach nur starren. Mit langen Tönen in schmerzhaften Frequenzen, die Fensterscheiben zum Springen bringen und – beim Teenagersohn – die Zähne zum Ausfallen.

Oft erinnert der Film an ein Kammerspiel, dann aber rückt in weitwinkligen Aufnahmen die Umgebung ins Bild. Und ein Flugzeug stürzt spektakulär ab. Oder selbstfahrende Autos verursachen, Geschossen gleich, eine Massenkarambolage. Es ist die digitale Katastrophe, die hier ins Zentrum rückt. Und die beiden Familien, abgeschnitten vom Datenfluss, von jeder Kommunikation, sind ihr hilflos ausgeliefert. Künstliche Intelligenz wird zur Bedrohung, doch die Gefahrenlage bleibt diffus. Nur ein Prepper in der Nachbarschaft, glänzend gespielt von Kevin Bacon, scheint Antworten gefunden zu haben.

Bildgewalt beim Flugzeugabsturz.
Bildgewalt beim Flugzeugabsturz.(c) Netflix

Sehenswert ist er auf jeden Fall, dieser Endzeitfilm. Auch wenn er vielleicht allzu viel will: Bildgewalt auf der einen Seite, feine Psychologisierung auf der anderen. Und Gesellschaftskritik auf vielen Ebenen. Er zeigt aber jedenfalls die tragische Ironie der Abhängigkeit von der Technologie. Wer nur aufs Handy schaut, verpasst sogar den Weltuntergang.

Von den Obamas produziert

Dem Film liegt der gleichnamige Roman von Rumaan Alam zugrunde, der 2021 auch auf Deutsch („Inmitten der Nacht“) erschien und einen regelrechten Bieterwettstreit um die Verfilmungsrechte entfachte, den schließlich Barack und Michelle Obama gewannen. Ihre Produktionsfirma werkelt exklusiv für Netflix. Wobei ein (unfreiwilliger?) Witz des Filmes darin besteht, dass mit dem Ende des digitalen Flusses im Haus wieder Vinyl aufgelegt wird. Und einer Sammlung von DVDs am Ende eine besondere Bedeutung zukommt.

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