Kulturelles Kapital

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Jeannine Hierländer
stv. Ressortleiterin Economist

Jeannine Hierländer
 

Guten Morgen!

Bildung ist das Fundament unseres Wohlstandes, gut ausgebildete Fachkräfte sind der Rohstoff industrialisierter Volkswirtschaften. „Drei Viertel der Wachstumsunterschiede zwischen Volkswirtschaften hängen am Wissenskapital, also an den klugen Köpfen”, sagte die deutsche Bildungsministerin, Bettina Stark-Watzinger, dieser Tage zur „FAZ”, und das sagen auch internationale Studien. Insofern muss sich die FDP-Politikerin schleunigst etwas einfallen lassen. Denn Deutschland laboriert am Pisa-Schock. Deutsche Schüler schnitten 2022 so schlecht ab wie noch nie.

Auch in Österreich verschlechterten sich die Schülerleistungen, wenn auch weniger drastisch. Das sollte aber kein Trost sein, sondern ein Ansporn. Zum Beispiel dafür, sich endlich ein paar unbequemen Fragen zu stellen. Es gibt Indizien für die Annahme, dass sich Österreich hinsichtlich seiner Schülerleistungen in Zukunft weiter verschlechtern wird. Österreichs Bevölkerung wächst und wird auch auf lange Sicht weiter wachsen. Allerdings ausschließlich durch Zuwanderung, denn die Geburten stagnieren. Zuletzt gingen sie sogar zurück. 

Aber Österreich steuert seine Migration so gut wie gar nicht, sondern überlässt es mehr oder weniger dem Zufall, wer ins Land kommt. 60 Prozent der Migration entfielen 2022 auf EU-Personenfreizügigkeit, 19 Prozent auf humanitäre Gründe wie Asyl und 17 Prozent auf Familiennachzug. Wer aus der EU kommt, kommt in der Regel, um zu arbeiten. Wer von außerhalb kommt, kommt in der Regel über das Asylsystem. 

In der aktuellen Pisa-Studie zeigen sich zwei beunruhigende Trends. Erstens: In wenigen Industrieländern wirkt sich Migration so negativ auf die Bildungsergebnisse aus wie in Österreich. In Kanada und Australien ist der Effekt praktisch neutral. Beide gelten als Länder, die selektieren, wer einwandern darf. Zweitens: In Österreich ist im Vergleich zu anderen Industrieländern ein besonders großer Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund „sozioökonomisch benachteiligt”, wie es in der Pisa-Studie heißt. Ihre Eltern sind also schlecht gebildet und sie arbeiten in niedrigqualifizierten Jobs mit geringem Verdienst. 

Bildung werde in Österreich immer noch vererbt, so lautete eine Schlussfolgerung aus Pisa. Unter Zugewanderten ist die Bildungsvererbung besonders stark ausgeprägt: 44 Prozent der Personen von 25 bis 64 Jahren, deren Eltern lediglich einen Pflichtschulabschluss haben, verfügten zuletzt ebenfalls über keinen höheren Bildungsabschluss, analysiert der Österreichische Integrationsfonds. In der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund wird das niedrige Bildungsniveau deutlich seltener vererbt, nämlich zu gut einem Fünftel. Mit steigendem Bildungsniveau der Eltern nehmen die Unterschiede ab: Bei Personen, deren Eltern einen Uni-Abschluss haben, zeigen sich nur noch geringe Unterschiede im Bildungsniveau, Migrationshintergrund hin oder her.

Es geht nicht um Zuwanderung, sondern um die Frage, welche Zuwanderung ein Land zulässt. Nicht der Migrationshintergrund einer Person oder Gruppe ist entscheidend,  sondern das kulturelle Kapital – die Affinität zu Bildung, die Leistungs- und Integrationsbereitschaft, der Wille zum gesellschaftlichen Aufstieg. Bernhard Nauck und Birger Schnoor verglichen 2015 in einer großen Studie den Bildungserfolg von türkischen, deutschen und vietnamesischen Jugendlichen in Deutschland. „Während Jugendliche mit türkischer Herkunft einen vergleichsweise geringen Bildungserfolg haben, ist der der Jugendlichen vietnamesischer Herkunft sogar noch höher als der der deutschen Referenzpopulation”, folgerten sie.

Nicht nur Bildung wird vererbt. Sondern auch die Affinität zu Bildung, Lernen, Leistung, Aufstieg. Darüber sollten wir reden. Am besten vor der nächsten Pisa-Studie. 

Herzlich, Ihre

Jeannine Hierländer

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