Gastkommentar

Reformen für eine Schule der Zukunft

Die jüngsten Pisa-Ergebnisse müssen ein Weckruf sein. Felbermayr hat recht: Es braucht eine Bildungsreform.

Wifo-Chef Gabriel Felbermayr liegt völlig richtig, wenn er eine umfassende Bildungsreform in Österreich einfordert. Die jüngsten Pisa-Ergebnisse müssen ein Weckruf sein: Die Grundkompetenzen in Lesen und Mathematik sind bei einem Viertel der heimischen Schülerinnen und Schüler unzureichend. Die OECD rechnet vor, dass Bildungsausgaben und Ergebnisse nicht die Effizienz anderer erfolgreicher Bildungsnationen erreichen.

Wutöschingen im deutschen Baden-Württemberg ist dabei ein Ort, den man sich merken muss: Die dortige Alemannenschule (ASW) steht für ein innovatives Schulmodell. Aus einer Brennpunktschule, die vor der Schließung stand, wurde ein international viel beachtetes Musterprojekt. Aus ganz Europa, selbst aus Australien und China, hospitieren Pädagogik-Interessierte im Südschwarzwald, um sich ein Bild zu machen. 2019 wurde die ASW mit dem Deutschen Schulpreis als eine der besten Lehranstalten ausgezeichnet. Als Gemeinschaftsschule beheimatet sie Kinder und Jugendliche von Schulstufe 1 bis 13 und ermöglicht alle drei Abschlüsse: Hauptschul-, Realschulabschluss und Abitur (Matura).

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Was macht diese Schule so besonders? Die individuelle Lerngestaltung fördert Talente, statt auf Schwächen und Defizite zu fokussieren. Die Kinder lernen wo, wann und wie sie wollen. Allein oder in Gruppen, im Sitzen, Stehen oder Liegen. Viele Freiheiten, aber auch Regeln, denn das Vertrauen müssen sich die jungen Menschen verdienen. Klassenzimmer und fixe Stundenpläne gibt es nicht, die Pädagoginnen und Pädagogen sind für Unterstützung immer greifbar. Dass Lehrende und Schüler hier „Lernpartner“ genannt werden, mag seltsam klingen, entspricht aber der gelebten Beziehung.

Es ist beeindruckend zu erleben, wie die Kinder so zum selbstständigen Lernen motiviert und zu Kreativität und Verantwortungsbewusstsein angeleitet werden. Sie erwerben zentrale Kompetenzen für das 21. Jahrhundert. ASW-Schülerinnen und -Schüler schneiden bei Vergleichstests weit überdurchschnittlich ab. Denn Lust am Lernen und Leistung sind kein Widerspruch, im Gegenteil!

Ein wichtiger Punkt ist die Einbindung der Digitalisierung. Auf dem Tablet hat jedes Kind Lernmaterialien, schneidet Podcasts und Videos oder layoutet Bücher. Und es wird darauf der individuelle Leistungsfortschritt minutiös dokumentiert. Die ASW hat dafür eine eigene Lernplattform etabliert – für uns als Wirtschaftskammer ist das interessant, weil wir mit „Wise up“ eine digitale Aus- und Weiterbildungsplattform für Betriebe und ihre Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter geschaffen haben.

Ein Schatz an Talenten

Wutöschingen belegt aber auch den starken kommunalen Aspekt: Gemeinde, lokale Wirtschaft und Institutionen haben zusammengewirkt, um den Schulstandort zu sichern, und geben der Schulautonomie hohen Stellenwert. Natürlich ist das nicht eins zu eins übertragbar, aber es liefert Anregungen für Schulen der Zukunft. Etwa in Hinblick auf digitales Lernen, die Gestaltung des Lernalltags und darauf, wie individuelles Lernen in der Schule ermöglicht werden kann, sowie auf das Potenzial für Kooperationen, das in Österreich noch zu wenig ausgeschöpft wird.

Bildung verdient als Zukunftsthema besonderes Augenmerk. Wir haben in Österreich 1,8 Millionen junge Menschen, die – von Kindergarten bis Universitäten – Ausbildungen durchlaufen. Ein riesiger Schatz an Talenten, aber auch große Verantwortung. Denn umfassend gebildete und gut ausgebildete Menschen sind für einen Wirtschaftsstandort die Erfolgsgrundlage. Wir sollten sie weiter stärken.

Amelie Groß ist Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ).

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