Literatur

Ihr verdient die Erde nicht

Schriftsteller von Weltrang:  László Krasznahorkai, geboren 1954 in Gyula, Ungarn.
Schriftsteller von Weltrang:  László Krasznahorkai, geboren 1954 in Gyula, Ungarn. Foto: Nina Subin
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Sprachliche Sonaten, die kein Innehalten zulassen und aufs Weltganze abzielen. In seinen neuen Erzählungen schlüpft László Krasznahorkai in ein Tier, begibt sich auf die Spuren eines Bibliothekars und lässt eine atemlose Flucht in Kroatien enden.

Einen großen Autor erkennt man auch daran, dass er gar nicht imstande ist, ein künstlerisch wenig bedeutendes Nebenwerk zu schreiben. László Krasznahorkai, der bereits mit seiner 1989 auf Deutsch erschienenen „Melancholie des Widerstands“ große Aufmerksamkeit erregte und mittlerweile zu den Fixsternen der Weltliteratur zählt, bewies schon im Prosaband „Die Welt voran“, dass auch eine Erzählung ein Miniaturmodell seines denkerischen und poetischen Kosmos sein kann. Dasselbe lässt sich auch von den drei Erzählungen sagen, die jetzt auf Deutsch unter dem Titel „Im Wahn der Anderen“ vorliegen. Nur sind sie noch weniger von einer Handlung bestimmt, sondern ganz von ihren faszinierenden Satzgebilden in Gang gesetzt.

Das Untier sprengt alle Dimensionen

Wer irgendetwas von Krasznahorkai gelesen hat, zum Beispiel den von Béla Tarr so verstörend großartig verfilmten Roman „Satanstango“, der weiß: Ihm geht es nicht darum, eine Geschichte zu erzählen, sondern er geht aufs Ganze, auf das Weltganze, auf das, was man mit Albert Camus die Zerrissenheit „zwischen der Frage des Menschen und dem Schweigen der Welt“ nennen kann. Das ist das Epizentrum, das seine Sätze umkreisen; wenn es nicht ein einziger Satz ist wie in seinem letzten Roman „Herscht 07769“, der sich über 400 Seiten zieht – ein Satzmarathon, wie es ihn wohl sonst noch kaum gegeben hat. Hochmusikalisch und einzigartig sind sie, diese Krasznahorkai-Sätze, insistierend und kein Innehalten zulassend, volle Konzentration fordernd und durch ihre Intensität ermöglichend.

Solche Sonaten aus Sätzen sind auch die neuen, zu unterschiedlichen Zeiten entstandenen Erzählungen, deren erste den Titel „Animalinside“ trägt und ein intensiver Dialog mit Zeichnungen des Berliner Malers Max Neumann ist. Wie die Zeichnungen die Erzählung illustrieren, so schlüpfen deren 14 Texte auch hinein in die Zeichnungen und erfüllen sie mit Sprache und Leben. Der erste beschreibt das Bild noch aus einer neutralen Erzählperspektive, doch ab dem zweiten spricht das gezeichnete Tier in Ich-Form. Dabei wird es immer mehr zu einem Untier, das alle Dimensionen sprengt, und vor dem es kein Entkommen gibt, das sich vervielfachen kann und dennoch aus dem Inneren des „Herrchens“ kommt, an das es seine gnadenlosen Satz-Tiraden richtet, denn „. . . das Urteil über euch ist gefällt, ihr verdient die Erde nicht, so steht es im Urteil, ich habt euer Glück auf Erden verspielt, so steht es im Urteil, ihr habt euch als der Erde nicht würdig erwiesen . . .“.

Bibliothekar als Hüter des Palasts

Mit dem Ende des Menschen endet denn auch die Erzählung, aber nicht mit dem Ende von Kampf und Krieg, denn – so der letzte Satz zur Zeichnung zweier aufeinander zulaufender Tiere – „. . . jetzt ist nur noch die Frage: wer von uns beiden wird König.“ Das Motto der zweiten Erzählung lautet „Die Realität ist kein Hindernis“, und es gilt wohl für den ganzen Band und weit darüber hinaus für Krasznahorkais Sprachkosmos.

In dieser Erzählung unter dem Titel „Kleinstarbeit für einen Palast“ spricht ein grauer Bibliothekar aus der New York Public Library, der ganz für seine Notizen lebt und sich an die Spuren von Herman Melville heftet. Er heißt ja auch selbst so, wie der berühmte Schriftsteller vor der Namensänderung nach dem Tod seines Vaters hieß: Herman Melvill. Während er erzählt, wie er sich auf dessen Wege durch Manhattan begibt, problematisiert er von Anfang an konsequent den von ihm selbst in Gang gesetzten Erzählstrom, wenn er sein Sprechen etwa mit der Bemerkung unterbricht: „. . . noch dazu rede ich gar nicht, ich kann auch das nicht auf andere Weise, nur so in Monologform, als ob ich reden würde, anders geht es einfach nicht, ich kann, was ich will, nur so beschreiben, als würde ich es zu jemandem sagen, aber ich sage es natürlich zu niemandem . . .“ Auf seinen Gängen stößt er auch auf den Autor Malcolm Lowry und den Architekten Lebbeus Woods. Konkrete Topografie und biografische Fakten werden eingeschmolzen in ein sprachlich reich instrumentiertes Wahnsystem, in dem der Bibliothekar vor allem eines will: der „Hüter des Palasts“ sein – ihm schwebt die „Auf Ewig Geschlossene Bibliothek“ vor, in der die Bücher unantastbar sind und nur für sich selbst stehen.

Odyssee durch Europa

In einer Zentralstelle der Erzählung geht es um die Zeichnungen von Woods, die als Bilder vom richtigen Manhattan gegen das falsche reale gedeutet werden, „. . . weil er das wahre Manhattan liebte, sehr liebte und gerade deshalb das wahre Manhattan brauchte, um zu beweisen, wie sehr die Architektur daran schuld ist, dass wir nicht nur dem Himmel entfremdet sind, was Melville so kaputt gemacht hat, sondern auch der Erde . . .“. Melville und Woods sind zusammen mit Lowry die herausragendsten Plätze in der imaginären Bibliothek zugedacht.

Topografische Verankerungen hat auch die dritte Erzählung des Bandes, „Richtung Homer“, in der eine Odyssee durch Europa und entlang der kroatischen Adriaküste auf der Insel Korčula ihr Ende findet. Auch diese atemlose Flucht, die sich in der Atemlosigkeit der seitenlangen Sätze widerspiegelt, ist durchsetzt von Zeichnungen Max Neumans. Als drittes Element kommen aber noch improvisierte Solos des bekannten ungarischen Jazz-Schlagzeugers Miklós Szilvester dazu, die man mit einem QR-Code abrufen und abschnittweise hören kann – die Musik steigert die Intensität der sprachlich generierten Unausweichlichkeit. Zur großen Überraschung mündet sie in einen „. . . Augenblick, von dem an er, wenn auch unter Zweifeln, glaubte, dass die Insel selbst es war, die ihm diese Ruhe befahl, die Insel, die hier diesmal vielleicht nicht nur als Versteck vor der Gefahr diente, sondern ihn geradewegs rettete . . .“.

Sätze mit Sogwirkung

Mit dem Erzählband „Im Wahn der Anderen“ liegt ein neues sprachliches Meisterwerk von László Krasznahorkai vor, der unter anderem 2015 mit dem Man Booker International Prize und 2021 mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur ausgezeichnet wurde und am 5. Jänner seinen 70. Geburtstag feiern wird. Dass seine Satzsonaten auch in der Übersetzung ihre Sogwirkung entfalten, ist wieder einmal Heike Flemming zu verdanken, die zuletzt auch in „Herscht 07769“ gezeigt hat, welche Musikalität sie der deutschen Sprache abzugewinnen vermag.

Buch

  • Im Wahn der Anderen. Drei Erzählungen
    László Krasznahorkai, Erzählungen. Mit Zeichnungen von Max Neumann. Aus dem Ungarischen von Heike Flemming. 256 S., geb., € 39,95 (S. Fischer)

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