Premiere

Wotan kehrt: Witzige „Hildensaga“ im Akademietheater

Stolze Königin im isländischen Schnee: Julia Windischbauer als Brünnhilde zwischen zwei Nornen.
Stolze Königin im isländischen Schnee: Julia Windischbauer als Brünnhilde zwischen zwei Nornen.Marcella Ruiz Cruz
  • Drucken

Was wäre, wenn Brünnhild und Kriemhild ihre Frauensolidarität entdecken? Ferdinand Schmalz lässt in seiner Version der Nibelungensage die Nornen wild spinnen. Jan Bosse hat die „Hildensaga“ im Akademietheater entsprechend gewitzt inszeniert.

Die Nibelungensage gibt es nicht im Singular, sie ist ein Geflecht aus Erzählfäden; Richard Wagner hat mit seinem „Ring des Nibelungen“ weiter zum Wirrwarr beigetragen. Wer soll‘s entwirren? Wer, wenn nicht die Nornen, diese (ungefähr den römischen Parzen entsprechenden) weiblichen Wesen, die die Schicksalsfäden spinnen? Und wenn sie‘s schon entwirren, warum nicht im feministischen Sinn? Schließlich sind sie ja matriarchalisch gesinnte, weil quasi prä-patriarchale Lenkerinnen.

Das dachte sich der Grazer Dichter Ferdinand Schmalz – und ließ sie frisch spinnen: In seinem „Hildenlied“ ringen die Nornen mit einem – in der Tradition Wagners – schon ziemlich müden Göttervater Wotan um die Erzählhoheit. Er glaubt an Logik, „positive Rückkopplung“ und, ganz klimafeindlich, „aggressiven Wachstumsprozess“; sie setzen darauf, dass „das Schicksal für derlei alte Männer nur eine einzige Bestimmung kennt“, nämlich „auf das Erbärmlichste zu krepieren“.

Brünnhilde blendet Wotan

Wer gewinnt? Das lässt sich nicht so leicht sagen. Denn Schmalz ist nicht nur ein gewitzter Dichter, sondern auch ein ziemlich postmoderner. Seine wackeren Nornen wollen zwar den „großen roten Faden wirken“ und „die Seitenstränge wegschnippeln“, aber er weiß: So einfach ist das nicht. So ist sein „Hildenlied“ so vielstimmig wie vielsträngig, oft sehr lustig und letztlich gehörig tragisch. Die bittere Pointe: Ob den Königinnen Kriemhild und Brünnhild die durch weibliche Solidarität erzeugte feministische Wende gelingt oder nicht, das Ergebnis bleibt: Am Ende sind (fast) alle tot. Und Wotan ganz blind: Seine Tochter Brünnhild hat ihn geblendet.

Fürwahr, eine komplizierte Vater-Tochter-Beziehung: Schmalz erweist sich als Wagnerianer, indem er dieses Motiv – das etwa bei Hebbel, dessen „Nibelungen“ keinen Göttervater kennen, naturgemäß fehlt – so zentral behandelt. Und auch dadurch, dass sein Siegfried recht schlicht im Kopf ist. Aber sexy. Was Brünnhild nicht verborgen bleibt, worauf dieser „Bär von einem Mann“ gleich zu Beginn „wie ein Kätzchen“ in ihrem Bett liegt. Das goutieren die Nornen natürlich gar nicht, ihnen ist das (hetero-)sexuelle Treiben ohnehin suspekt: „Behandle jeden Liebesbrief wie eine Kriegserklärung“, raten sie streng.

Warum sind die Burgunder queer?

Recht behalten sie: Bald liegt Brünnhild nicht mehr in Island mit Siegfried im Bett, sondern in Burgund mit Gunther (dem dabei allerdings mythengetreu der getarnte Siegfried assistiert). Damit auch mit dem Patriarchat. Dieses sieht allerdings auf der Bühne des Akademietheaters seltsamerweise ziemlich effeminiert aus: Gunther, Gernot und Giselher tragen Netzstrümpfen und Kleidchen und reden betont affektiert. Was will uns die Regie damit sagen? Dass die Männerherrschaft besonders gemein ist, wenn die Männer sich queer geben? Immerhin Hagen trägt trutzig eine Art Hardrocker-Rüstung, und man merkt, dass ihm die burschikose Brünhilde eigentlich sympathischer ist als die drei soften Brüder. Ist ja auch egal, meucheln muss er, die Königinnen wollen das so.

Ist dieser grimmige Pragmatiker in Wahrheit ein Überläufer? Ein Doppelagent für Patri- und Matriarchat? Was ist in Kriemhild gefahren, wenn sie den Tod ihres Lieblingsbruders stoisch mit „Die Schwächsten werden ausgesondert“ kommentiert? Muss sie deshalb auch sterben? Und was meint Brünnhild mit den „wölfischen Zeiten“, die nach dem Blutbad erst recht kommen?

Alles offen, niemand tief betroffen: keine Tragikomödie, sondern eine Komitragödie, wenn‘s das gibt. Schnell gespielt, manchmal so schnell, dass man die wilden Wendungen und wüsten Wortspiele des Texts gar nicht gleich mitbekommt. Allein durch ihre physische Präsenz starke Verfechter der Männerliga sind Rainer Galke als Hagen und – stellenweise richtig rührend – Oliver Nägele als Wotan. Zeynep Buyraç, Elisa Plüss und Nina Siewert sind bezaubernd überdrehte Nornen mit karottenfarbenem Haar. Julia Windischbauer überzeugt als erst arrogante, dann gedemütigte, schließlich auftrumpfende Brünnhild; Katharina Lorenz hat als stille Kriemhild intensive Momente, etwa wenn sie auf Siegfrieds Frage nach ihrem geheimen Wunsch vom Untergang im reißenden Rhein träumt. Nils Strunk als Siegfried ist ein tolpatschiger Herzensbrecher, dem niemand eine Bosheit zutrauen würde.

Dieser naive Held kommt zuerst als Raumfahrer in die isländische Schneelandschaft, wo Brünnhild auf seine Werbegesänge mit David Bowies „Heroes“ antwortet. Jan Bosses Inszenierung steckt voll solcher witziger Details, die Bühne von Stéphane Laimé ist ein guter Ort für seine und Schmalzens wilde Mythen-Montage. Und wenn der Schnee zu viel wird, kehrt ihn Wotan zusammen. So mag man die alten Männer eben.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.