Neue Serie

„Code des Verbrechens“: Wenn ganze Städte überfallen werden

Um sie geht es in „Code des Verbrechens“: Polizistin Suellen, den Verbrecher Sem Alma und Polizist Benício.
Um sie geht es in „Code des Verbrechens“: Polizistin Suellen, den Verbrecher Sem Alma und Polizist Benício.Netflix
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Die Netflix-Serie macht auf ein kriminelles Phänomen aufmerksam, das in Brasilien erfunden wurde: Die Geiselnahme ganzer Städte, um Geld in rauen Mengen zu rauben. „Code des Verbrechens“ überzeugt aber auch als Charakterstudie.

Die Serie „Code des Verbrechens“ beginnt mit dem Monolog des Polizisten Benício (Rômulo Braga). „Alle reden darüber, was aus Paraguay nach Brasilien kommt. Aber niemand spricht über das, was Brasilien dorthin schickt: Verbrechen.“ Während man aus der Vogelperspektive sieht, wie Autos mit bewaffneten Männern durch die nächtlichen Straßen einer Stadt fahren, hört man die Stimme erklären: „Alle Arten von Verbrechen, einschließlich der Übernahme ganzer Städte. Eine hundertprozentige brasilianische Erfindung.“

Die Übernahme ganzer Städte? Ja, denn die brasilianische Netflix-Serie basiert auf wahren Geschehnissen. Im April 2017 verbreitete eine aus dem Nachbarland Brasilien eindringende, schwer bewaffnete Räuberbande in der paraguayischen Grenzstadt Ciudad del Este stundenlang Angst und Schrecken. „Wie im Krieg“, beschrieben Augenzeugen die Attacke der mit Sprengsätzen und Sturmgewehren bewaffneten rund 50 Angreifer. Die Mitglieder verschiedener Banden griffen gleichzeitig das lokale Polizeipräsidium und das regionale Regierungsgebäude an, nahmen Geiseln und setzten mehr als ein Dutzend Fahrzeuge in der Stadt in Brand. Das eigentliche Ziel der Attacke wurde damit verschleiert: Das Lager des Geldtransportunternehmens Prosegur. Am Ende der Nacht des Schreckens tauchten die Verbrecher mit einer Beute in der Höhe von rund 30 Millionen Euro unter.

Porträt von Polizisten und Verbrechern

Mit dem brutalen Überfall beginnt auch die Serie. Benício, der das Verbrechen aufklären will, wird angetrieben durch Rachegelüste. Sem Alma (Thomás Aquino), ein Anführer des Überfalls, soll für den Tod seines Partners Santos verantwortlich sein. Es ist keine leichte Situation für Santos Nachfolgerin Suellen (Maeve Jinkings), die gerade erst Mutter geworden ist und nun zwischen dem impulsiven Benício und ihrem zunehmend mit Unverständnis reagierenden Ehemann balancieren muss. Wobei sich dessen Unmut nicht nur auf den unberechenbaren Kollegen bezieht, sondern vor allem auf ihren gefährlichen und familienfeindlichen Job.

Die Macher der Serie porträtieren die Akteure auf beiden Seiten des Gesetzes. Bei den Polizisten gibt es da neben Benício und Suellen auch noch ihren Vorgesetzten Rossi (Pedro Caetano), einen schlauen DNA-Spezialisten, einen zwielichtigen Undercover-Ermittler sowie einen Verräter in den eigenen Reihen. Auf Seiten der Verbrecher ragt der kühle, Emotionen unterdrückende Sem Alma heraus, der sich mit den fähigen und unfähigen Mitgliedern unterschiedlicher Verbrecherbanden auseinandersetzen muss, die sich vereint haben, um große Verbrechen durchzuführen.

Polizistin ist auch Mutter, Verbrecher auch Vater

Steht am Anfang der Serie vor allem die Handlung im Vordergrund, nimmt sie sich während der acht Folgen immer mehr Zeit dafür, die wichtigsten Figuren zu charakterisieren. Wirken Benício und Co. zu Beginn noch eindimensional, löst sich dies von Folge zu Folge auf. Gelungene Dialoge zeigen echte Menschen, ihre Erfolge, ihre Verzweiflung. Die sanften Seiten des Rüpels Benício werden ebenso sichtbar wie der tägliche Seiltanz, den Suellen vollziehen muss – die sowohl gute Mutter, Frau und Polizistin sein will. Es sind die stärksten Szenen, in denen sich die innere Zerrissenheit Suellens offenbart.

Ähnlich verhält es sich beim gewieften Verbrecher Sem Alma. Den Serienmachern gelingt es, dem anfänglich eiskalten Bösewicht eine unglaubliche Vielschichtigkeit zu verleihen, obwohl dessen Darsteller in den rund acht Stunden der ersten Staffel kaum jemals die Miene verzieht. Dieses unterirdische Brodeln, wenn seine eigene Familie, die er seit Jahren zu deren Sicherheit nicht mehr sehen kann, ins Visier der Ermittler und auch einer der Verbrecherbanden gerät – es ist spürbar.

Hommage an Filmklassiker „Heat“?

„Code des Verbrechens“ ist auch optisch interessant. Drohnen-Aufnahmen zeigen bedrohliche Konvois der Gangs, wie sie sich durch die Viertel der Stadt erbarmungslos ihrem Ziel nähern. Die Schießereien erinnern teilweise an Michael Manns Filmklassiker „Heat“ (eine Szene am Ende der ersten Staffel wirkt wie eine Hommage an das berühmte Finale von „Heat“ am Flughafen) und machen die Brutalität und Gewalttätigkeit der Angriffe mit Sturmgewehren und Sprengstoffen fast körperlich spürbar.

Der Original-Titel der Serie, „DNA do Crime“, trifft es im Übrigen besser. Zwar mögen sich Polizisten wie Benício wie Cowboys aufführen. Die Serie zeigt aber deutlich, wie Fälle tatsächlich gelöst werden. Nicht durch schießwütige Einzelgänger, sondern durch akribische und wissenschaftliche Analyse. Fingerabdrücke und DNA-Sequenzen führen auf die Spur der Täter, zeigen, bei welchen vergangenen Verbrechen diese schon einmal Spuren hinterlassen haben und wie die Dinge zusammenhängen. Diese undankbare Kleinarbeit wird dabei aber nicht heroisiert wie in den diversen „CSI“-Serien des US-Fernsehens. Im Gegenteil: Der kundige DNA-Spezialist wird belächelt.

Die Netflix-Serie bringt Brasilien und Paraguay auf die Krimi-Landkarte und zeigt, dass nicht nur an der US-mexikanischen Grenze Verbrechen geschehen. In einigen Kritiken wird bekrittelt, dass die Serie nicht herausragt, weil sie nur Altbekanntes zeigt. Wie sie das tut, ist allerdings mehr als sehenswert.

„Code des Verbrechens“ läuft seit Winter 2023 auf Netflix.

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