Interview

Martin Selmayr: „Die EU-Mitgliedschaft ist kein Netflix-Abo“

Martin Selmayr wünscht sich von Österreich Entgegenkommen beim blockierten Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien.
Martin Selmayr wünscht sich von Österreich Entgegenkommen beim blockierten Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien.Clemens Fabry
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Der Vertreter der EU-Kommission in Österreich, geht nicht davon aus, dass sich die Union von Ungarn erpressen lässt. Ungarns EU-Ratsvorsitz im zweiten Halbjahr 2024 werde die Europapolitik nicht entgleisen lassen.

Die Presse: Krieg, Migration, Inflation – 2023 war kein einfaches Jahr für die EU. Das kommende Jahr dürfte auch nicht einfacher werden, nicht zuletzt wegen des Damoklesschwerts der US-Präsidentenwahl im November. Wie schrecklich wird es?

Martin Selmayr: 2023 zählt zu den schwierigsten Jahren, die ich in der EU erlebt habe. Aber das Jahr geht trotz aller Herausforderungen mit drei großen Entscheidungen zu Ende: erstens der Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine, mit Moldau und grundsätzlich auch mit Bosnien und Herzegowina; zweitens mit internationalem Konsens, was die Bekämpfung der Klimakrise und den Ausstieg aus fossilen Energieträgern bis 2050 anbelangt; und drittens mit der Einigung auf ein Migrations- und Asylpaket. An diesem harten Brett haben wir seit 2016 gebohrt. Am Ende hat sich Europa in den großen Fragen geeint gezeigt. Das gibt mir Hoffnung für das nächste Jahr. Natürlich wünschen wir uns einen verlässlichen amerikanischen Partner. Aber wir haben schon einmal vier Jahre durchgestanden, in denen dieser Partner äußerst schwierig war. Wir wissen also, was uns im Fall des Falles erwarten könnte. 

Die von Ihnen genannten großen Würfe sind allesamt mit Fragezeichen versehen. Im Erweiterungsprozess gibt es viele Gelegenheiten für Vetos. In der Klimapolitik hat Brüssel vor wenigen Tagen vorgerechnet, dass die Mitgliedstaaten Schwierigkeiten haben, ihre selbst gesteckten Ziele zu erreichen. Und auch in der Migrationspolitik weiß niemand so recht, ob der verstärkte Schutz der Außengrenzen und die Verteilung der Neuankömmlinge in der Praxis umsetzbar sind. 

Wir sprechen hier natürlich von demokratischen Etappensiegen. Diesen Marathon müssen wir noch zu Ende laufen. Nichtsdestoweniger dürfen wir die Signalwirkung dieser Beschlüsse nicht außer Acht lassen. Am wichtigsten sind die Beschlüsse zur Ukraine. Die Ukraine braucht gerade jetzt eine klare Zukunftsperspektive, und dazu gehört die Mitgliedschaft in der EU mit ihrer stabilisierenden Vorwirkung für Demokratie und Wirtschaft. Dass alle 27 Mitgliedstaaten in diesen Prozess eingebunden sind und darüber positiv entscheiden müssen, ist richtig und wichtig. Die EU-Mitgliedschaft ist kein Netflix-Abo, das vom Sofa aus konsumiert wird, sondern sie erfordert aktive Mitwirkung. 

In der akuteren Frage der Geldhilfen für die Ukraine legte sich Ungarn allerdings quer … 

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