Pizzicato

Schäubles Orakel

Je älter Wolfgang Schäuble wurde, desto widerborstiger wurde der Nestor der deutschen Politik.

In seiner Juristenseele steckte auch ein Schelm. Dass Wolfgang Schäuble am Stefanitag, „zwischen den Jahren“, starb, rang ihm womöglich ein letztes verschmitztes Schmunzeln ab, wie er es gern aufgesetzt hat – quasi als letztes Wort. Je älter er wurde, desto widerborstiger wurde der Nestor der deutschen Politik – ein streitbarer und machtbewusster Protestant, ein eiserner Kämpfer und Rollstuhlfahrer, der beste Kanzler, den Deutschland nie hatte. Ein verhinderter Bundespräsident auch, der in seinem Urlaub auf Sylt das Gespräch mit den Punks gesucht hat.

Erst neulich gab der Architekt der Wiedervereinigung ein großes Interview, ein Abschiedsinterview, wie sich herausstellen sollte, in dem er über die Zeitenläufte räsonierte – und darüber, ob er als Marathonmann für seinen Wahlkreis im badischen Offenburg noch einmal antreten sollte. Ein Leben ohne die Politik schien für den Homo politicus kaum lebenswert.

Mit Helmut Kohl hat der einstige Adlatus und ausersehene Erbe gebrochen, mit Angela Merkel verband ihn eine ambivalente Beziehung. Einmal gingen sie zusammen ins Kino, in den Film „Ziemlich beste Freunde“. Ein Widerwort war ihr trotzdem stets gewiss. Nun sagte er leise Adieu. Und die Griechen erinnern sich an das Schäuble-Orakel in der Finanzkrise: „Isch over.“ (vier)

E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

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