Gastkommentar

Die Union muss effizienter werden

Nur eine beherzte und schlag­kräftige Europäische Union kann im globalen Wettstreit der multipolaren Blöcke bestehen.

Die Initialzündung zu einer künftig in einem Zweikammersystem verfassten Union ist gesetzt. Schlanker soll die Union werden, die neue Europäische Exekutive (vormals: Kommission) soll nur noch 15 Mitglieder haben, das Vetorecht einzelner Länder wird großflächig abgeschafft. Der Rat (also die derzeit 27 Mitgliedstaaten) sollen nur noch mit – qualifizierter – Mehrheit entscheiden, auch in Fragen der Gemeinsamen Außenpolitik und des Erweiterungsprozesses.

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Heute ist es in wichtigen Fragen durchaus möglich, dass einzelne Mitgliedstaaten ihre nationalen Interessen über das Interesse der Gemeinschaft stellen, dass sie Partnerländer im Regen stehen lassen oder gar erpressen; so wie das jüngst im Vorfeld der Entscheidung zur Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine passiert ist.

Neuaufstellung ist nötig

Für alle aber, die „mehr Europa“ und eine transparente, demokratische Union wollen, ist die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 22. November 2023 eine Wohltat. Denn mit seinen Vorschlägen zu den Änderungen der EU-Verträge hat das Parlament eine zukunftweisende Initiative gesetzt, die in einen neuen Konvent münden soll. Die 27 Staats- und Regierungschefs der Union müssen jetzt handeln und die Einberufung eines Reform-Konvents beschließen. Eine einfache Mehrheit würde dafür genügen.

Es ist höchste Zeit, dass die EU ihre innere Verfasstheit von Grund auf ändert. Zwei Kriege an den Grenzen Europas haben die Welt so unsicher gemacht wie seit Jahrzehnten nicht mehr und zwingen die Europäer sich neu aufzustellen. Es geht heute um mehr als eine Neuauflage der alten Debatte über Vertiefung oder Erweiterung der Union. Altgediente österreichische Diplomaten werden sich an analoge Diskussionen vor dem EU-Beitritt Österreichs vor bald 30 Jahren erinnern. Was damals in schrillen Tönen als Scheindebatte geführt wurde – es „drohte“ ja eine Erweiterung von zwölf auf 15 Mitglieder – ist heute existentiell. Denn die neue Europäische Union wird 30 und mehr Mitglieder haben.

Im Wettstreit der Blöcke aber hat Europa nur als handlungsfähige Union eine Chance. Wer weiß, was Europa nach den Wahlen kommenden November aus den USA, wer weiß, was uns aus dem pazifischen Raum, aus China, vom erstarkten Süden und von der BRICS-Gruppe droht? Nur eine schlagkräftige EU kann dieser Konkurrenz entschieden entgegentreten.

Ohne Bürger geht gar nichts

Dies geht aber nur, wenn die knapp 450 Millionen Menschen in der EU „ihrer“ Union den Rücken stärken. Denn ohne die Unterstützung durch die Bürgerinnen und Bürger geht gar nichts. Auch das hat das Europäische Parlament erkannt und fordert in seinem Entwurf zur Änderung der EU-Verträge stärkere Transparenz und mehr Demokratie.

Denn wie soll mein Herz an Europa hängen, wenn es „weit weg ist“ – gelenkt von einer Elite, die macht, was sie will? Die Vorschläge zu öffentlichen Tagungen der Ministerräte, zu einem legislativen Initiativerecht und zu einer stärkeren Mitsprache des Parlaments beim mehrjährigen Finanzrahmen wollen der weit verbreiteten EU-Skepsis entgegenwirken. Auch sollen die Kompetenzen der EU ausgeweitet und Bereiche wie Umwelt und Klimapolitik gänzlich, Gesundheit und Bildung zumindest in großen Teilen in die Zuständigkeit der Union transferiert werden.

Es ist Zeit, anzupacken und die EU neu zu organisieren. Das Europäische Parlament hat weitreichende Vorschläge auf den Tisch gelegt. Jetzt sind die Staats- und Regierungschefs am Zug.

Michael J. Reinprecht ist Diplomat und Autor. Er war zuletzt Leiter der Nahostabteilung des Europäischen Parlaments in Brüssel.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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