Wort der Woche

Das Jahr der Künstlichen Intelligenz

Das Thema Künstliche Intelligenz hat das Jahr 2023 geprägt wie kein anderes – und dies wird sich wohl auch 2024 nicht ändern.

Neben Klimawandel und Klimaschutz war im Jahr 2023 vor allem das Thema Künstliche Intelligenz (KI) prägend. Dies spiegelt sich auch in Rankings maßgeblicher Zeitschriften und Organisationen wider – wie etwa die „Science Breakthroughs of the Year 2023“, „Nature’s 10“, „The World ahead 2024“ (The Economist) oder die „McKinsey Technology Trends 2023“.

Das wird sich wohl auch 2024 nicht ändern: KI-Methoden werden weiterhin große Fortschritte machen und sich in immer mehr Bereiche ausbreiten. Besonders „heiß“ sind derzeit generative Anwendungen, v. a. die großen Sprachmodelle (LLM, large language models) wie etwa ChatGPT.

Die Macht dieser KI-Methode zeigt sich in immer mehr Bereichen. So berichteten nun dänische Forschende um Sune Lehmann (Technical University of Denmark), dass sie Lebensläufe von Menschen mit höchster Akkuratesse vorhersagen konnten. Dazu fütterten sie ein LLM-Modell mit unzähligen (legal zugänglichen) Lebensdaten aller sechs Mio. dänischer Bürger – von Geburtsdatum und Ausbildung über Wohnort und Beruf bis hin zu Einkommens- und Gesundheitsdaten. Die Grundidee war, diese Daten wie Sprache zu strukturieren: Ähnlich einem Satz, in dem jedes Wort seine Position hat, wurden die einzelnen Datenpunkte zu ganzen Lebensläufen zusammengefügt. Ein neuronales Netz lernte im nächsten Schritt Zusammenhänge zwischen Lebensereignissen und erstellte auf dieser Basis Vorhersagen – genau so, wie ChatGPT Wort für Wort berechnet, welche Fortsetzung eines Satzes am wahrscheinlichsten ist (Nature Computational Science, 18. 12.). Der Vergleich dieser Prognosen mit realen Daten, die nicht in das System eigespeist waren, war verblüffend genau – etwa hinsichtlich des individuellen Sterberisikos in den nächsten Jahren oder von Entwicklungen der Persönlichkeit (z. B. Extrovertiertheit).

Die Forschenden sind indes nicht am Schnüffeln in privaten Lebensläufen interessiert – das machen kommerzielle Plattformen zwecks Profitmaximierung. Vielmehr wollen sie bisher unbekannte Zusammenhänge zwischen sozioökonomischen und gesundheitlichen Faktoren finden. Und sie wollen eruieren, welche Daten und welche Verarbeitungsmethoden in einem demokratischen Gesellschaftsverständnis noch akzeptabel sind.  

Studien wie diese illustrieren sehr gut, dass 2024 nicht nur ein Jahr der weiteren Ausbreitung von KI wird, sondern auch eines, in dem ihre Anwendungen stärker hinterfragt werden sollten.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist nun Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com
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