Interview

Österreich auf der Biennale Venedig: „Wir proben Schwanensee“

Das Rupertinum zeigt die Markt-Serie von Jermolaewa.
Das Rupertinum zeigt die Markt-Serie von Jermolaewa.Jermolaewa
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Wie geht es Anna Jermolaewa bei ihren Vorbereitungen für die Biennale Venedig? Im Österreichischen Pavillon wird eine Ukrainerin »Schwanensee« tanzen. Das Ballett bedeutet in Russland völlig anderes – es wurde bei Staatskrisen im Loop gesendet.

Noch nie hat die Biennale Venedig so früh eröffnet wie sie es diesmal tun wird, man kann sich noch an um einiges lauschigere Mai-Eröffnungsfeste erinnern. Aber auch hier gilt wohl die Logik der Zahlen: Immerhin 800.000 Besucher stürmten bei der vorigen Kunst-Biennale 2022 die Länderpavillons in den Giardini und die Hauptausstellung im Arsenale.

Je länger dieses Event also läuft, desto besser verkauft es sich. Aber auch: Desto mehr Menschen können sehen, was Künstlerinnen und Künstler aller Länder für diese prestigereichste aller Ausstellungen vorbereitet haben. Das Motto, das der erste lateinamerikanische Chefkurator der Venedig-Biennale, Adriano Pedrosa, ausgesucht hat, trifft es jedenfalls, im lokaltouristischen, wie im weltpolitischen Sinn: „Stranieri Ovunque – Foreigners Everywhere“. Werk und Biografie der österreichischen Vertreterin heuer könnte gar nicht besser dazu passen: Anna Jermolaewa ist eine der politischsten Künstlerinnen Österreichs, zuletzt engagierte sich die 1970 in St. Petersburg geborene Linzer Kunstuni-Professorin stark für Flüchtende aus der Ukraine.

Sie selbst floh 1989 aus Russland, bevor ihr dort der Prozess gemacht werden konnte: War sie schließlich schon als Jugendliche eine der Gründungsmitglieder der ersten Oppositionspartei in der UdSSR, gab eine regimekritische Zeitung heraus, schrieb und verteilte Flugblätter und wurde daher verfolgt. Durch Zufall verschlug es sie nach Wien, wo sie blieb, Kunst studierte und Karriere machte.

Alles im Zeitplan

Wie laufen die Vorbereitungen, fragen wir Anna Jermolaewa also, angesichts ihres großen Jahres: „Alles gut, alles in der Zeit“, beruhigt sie, gilt doch die Biennale als schwieriges Pflaster, können Finanzierung und Transport in der Lagunenstadt herausfordernd sein. Das Konzept von Jermolaewa und Kuratorin Gabriele Spindler aber steht, sogar der Titel der zentralen Arbeit wurde bereits verraten: „Swan­lake“. Ernsthaft, nach dem Tschaikowsky-Ballett? „Ja, wir üben schon fleißig“, sagt Jermolaewa, und man ist sich nicht ganz sicher, wie ernst sie das meint.

Sehr ernst: Es handle sich um eine große Filmproduktion, erzählt Jermolaewa. Man sieht dabei eine Gruppe Balletttänzerinnen ausgewählte Szenen aus dem Ballett proben, zentral dabei die Ballerina und Choreografin Oksana Serheieva, die in Tscherkassy eine Ballettschule leitete und nach der Invasion Russlands im Jahr 2022 mit ihrer Familie nach Österreich flüchtete.

Warum aber „Schwanensee“, soll das nostalgisch sein? Im Gegenteil. Für jeden, der wie sie im (post)sowjetischen Raum aufgewachsen sei, erklärt Jermolaewa, habe dieses Ballett eine völlig andere Bedeutung: In Zeiten politischer oder sozialer Unruhen erschien immer „Schwanensee“ auf den Fernsehbildschirmen. Das Staatsfernsehen strahlte es sogar teils tagelang ununterbrochen im Loop aus. Bei Breschnews Tod zum Beispiel oder beim Putsch 1991, kann sich Jermolaewa erinnern. Das sollte wohl der Partei Zeit geben, sich neu zu formieren, das sollte unliebsame bzw. überhaupt irgendwelche Nachrichten verhindern. Wenn „Schwanensee“ lief, wusste also jeder: Es ist etwas passiert.

Jermolaewa will mit ihrer Arbeit das Ballett jetzt „von einem Instrument der Ablenkung und Zensur in ein Instrument umwandeln, das einen politischen Wandel und einen Regimewechsel fordert“. Auch der mittlerweile aus dem niederländischen Exil sendende oppositionelle russische TV-Sender Doschd habe 2022 bei Kriegsbeginn symbolisch für Russen klar lesbar „Schwanensee“ laufen lassen.

Einstimmung auf Venedig in Salzburg

Wer schon jetzt mehr von Jermolaewa sehen möchte, kann das in Salzburg tun: Im Rupertinum wird noch bis Ende April ihre Ausstellung zum Otto-Breicha-Preis für Fotokunst 2021 gezeigt. Eine Ausstellung, mit der sie sehr glücklich sei. Im Zuge der Konzeption wurde klar, dass viele ihrer Schlüsselarbeiten sich um Märkte gedreht haben, sagt sie. So auch „Back to the Silk Routes“, die sie 2010 für die Wiener Festwochen schuf, wo sie als Video aber nur kurz am Stand von „Doktor Falafel“ am Naschmarkt lief. Jetzt können sie endlich viele sehen, freut sie sich.

Selbst in der Nähe des Markts wohnend, habe sie damals bemerkt, dass die Stände dort vor allem von bucharischen Juden aus Usbekistan betrieben wurden. Jermolaewa fragte sie, was sie an ihrer Heimat am meisten vermissen – und reiste für sie nach Samarkand, um diese Sehnsuchtsorte zu besuchen, zu filmen und ins Wiener Exil zu bringen. Das Haus, den Markt, weiße Maulbeeren. Die Kamera wurde so zum sentimentalen Staubsauger. Bei der Ausreise, erinnert sich Jermolaewa, wurden ihr die Videobänder fast weggenommen, weil die Polizei dachte, sie wolle Negatives über das Land verbreiten. „Dann habe ich ein bisschen geheult und dann haben die Polizisten und ich gemeinsam das Material durchgeschaut – und ich konnte sie mitnehmen.“

Biennale Venedig: 20. 4. bis 24. 11.

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