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Warum nur wollen die Jungen keinen Sex mehr sehen?

Für die Generation Z soll der Sex in Filmen und Serien besser unter der Bettdecke bleiben.
Für die Generation Z soll der Sex in Filmen und Serien besser unter der Bettdecke bleiben. Science Photo Library / picturedesk.com
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Prüde, übersättigt, zu woke? Es gibt viele Deutungen dafür, dass die Generation Z auf Sexszenen gern verzichtet. Wir haben einen Favoriten.

Nackte Körper, die sich leidenschaftlich ineinander drängen, begleitet von zärtlichem Geflüster oder lautstarkem Jubel: Das hat doch noch jeden Film und jede Serie gewürzt, als krönender Abschluss des dialogischen Sich-Näherkommens. Nur die Alten haben sich darüber aufgeregt, wohl wegen der ihnen anerzogenen Prüderie. Allen anderen war es scheinbar nur recht, wenn alle Hüllen vor der Kamera fielen.

Und jetzt das: Ausgerechnet die jüngsten Medienkonsumenten aus der Generation Z haben nicht nur weniger Sex als frühere Kohorten, sie wollen die Fleischeslust auch nicht mehr am Bildschirm sehen. Schon länger grübeln routinierte Alles-Erklärer über eine Umfrage der University of California: Knapp die Hälfte der Befragten zwischen 13 und 24 Jahren wünscht sich demnach weniger Sexszenen, zumal sie für den Fortgang der Handlung nicht vonnöten seien. Eine Mehrheit möchte öfter nur Freundschaft und Platonisches vorgesetzt bekommen. Und vier von zehn hätten gern mehr Charaktere, die mit Geschlechtsverkehr und Liebesromantik gar nichts am Hut haben. Sind die Jugendlichen heute so schamhaft wie puritanische Gouvernanten?

Aber nicht doch. Sie werden ja schon sehr früh mit Pornos im Netz konfrontiert. Vielleicht können sie deshalb auf gesitteteres Rummachen in traditionellen Medien verzichten. Weil, so schließt man messerscharf, zu früh gedeckt war ihr Bedarf (frei nach Morgenstern). Eine weniger schlichte Theorie zielt auf Wokeness ab: Die Generation Z reagiere, wie jüngst in der „Zeit“ gemutmaßt, genervt auf sexistische Stereotype und Heteronormativität, was meist mittransportiert werde. Doch jenseits digitaler Diskursforen, beim Gros der Jugendlichen dürfte das nicht der entscheidende Faktor für die Unlust auf gemimte Lust sein.

Plausibler erscheint die Erklärung der Schweizer Psychiaterin Dagmar Pauli im „Tagesanzeiger“: Als die heute Erwachsenen jung waren, hatten sie nur ab und zu vor Augen, wie wunderbar das Leben anderer Menschen angeblich sei, erfülltes Liebesleben inklusive. Was sie da in Filmen, Magazinen oder Serien wie „Sex and the City“ sahen, erkannten sie leicht als Blendwerk und hatten gerade daran ihre Freude. Davor und danach tauschten sie sich bei Cola, Bier oder Kaffee mit ihresgleichen aus – darüber, dass es im realen Alltag viel mühsamer läuft, auch im Bett. Heute aber bombardieren sich die Jugendlichen auf Instagram und TikTok rund um die Uhr mit vorgeblich sorgenfreien Romanzen von Menschen in makellosen Körpern, was sensationellen Sex impliziert. So präsentieren sich ihnen nicht nur Popstars und Influencer, sondern auch die eigene Peer-Group, ihre Freundinnen und Schulkollegen.

Deshalb wünschen sie sich ausgerechnet von der deklarierten Fiktion andere Plots, die ihrem herben Alltag eher ähneln. Dazu passen jene Serien, die Jugendliche trotz hoher Sexdichte lieben, wie „Skam“, „Normal People“ oder „Sex Education“.

Noch schöner finden wir diese Deutung: Sex ist kein so großes Ding mehr. Ihn zu haben, ist fein, aber kein Muss, und man will auch nicht unbedingt zuschauen, wie andere ihn verrichten. Vielleicht ist das ja der finale Triumph der sexuellen Revolution.

Email: karl.gaulhofer@diepresse.com

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