Morgenglosse

Recht herzlich willkommen in Europa. Wann gehen Sie wieder zurück nach Hause?

Indische Maschinenbauer warten nicht auf eine Einladung aus Deutschland oder Österreich.
Indische Maschinenbauer warten nicht auf eine Einladung aus Deutschland oder Österreich.APA/AFP/R.satish Babu
  • Drucken
  • Kommentieren

Selbst die schönste Blue Card nützt wenig, wenn die angeworbenen Fachkräfte merken, dass sie an ihrem neuen Arbeitsplatz bestenfalls toleriert werden.

Können Sie sich noch an die sogenannten Computer-Inder erinnern? Ja? Gratulation. Dann zählen Sie zweifellos zu den älteren Semestern innerhalb der digitalen Leserschaft der „Presse“. Unter diesem Schlagwort versuchte die deutsche Regierung vor gut zwei Jahrzehnten, IT-Fachkräfte auf dem südasiatischen Subkontinent anzuwerben. Der Erfolg der Initiative hielt sich in engen Grenzen – was nicht nur, aber vermutlich auch mit dem etwas abschätzigen Klang des obigen Begriffs zusammenhängen dürfte.

Das viel größere Problem an dieser und anderen vergleichbaren Initiativen in Deutschland und anderen (mittel-)europäischen Ländern liegt darin, dass die solcherart angesprochenen Fachkräfte nicht dumm sind und relativ leicht erkennen können, dass die vermeintlich freundliche Einladung zwischen zusammengebissenen Zähnen gequält herausgepresst wird. Und zwar von Personen, deren verkrampftes Lächeln die Tatsache kaschieren soll, dass sie in Wirklichkeit gar keinen Zuzug aus dem Ausland wollen und nur so tun also ob, weil ansonsten der Wohlstand in ihrer Heimat flöten geht und die heimischen Unternehmen nicht nur mit der Abwanderung drohen, sondern sich eines Tages auch tatsächlich davonmachen. Und dass diese halbherzige Einladung mit einem Ablaufdatum versehen ist: „Recht herzlich willkommen bei uns. Wann gehen Sie wieder zurück nach Hause?“

Kosten-Nutzen-Rechnung

Dass sich trotz dieser Haltung ausländische Arbeitskräfte weiterhin anwerben lassen, liegt in der Natur des globalen Wohlstandsgefälles und der Geografie. Altenpflegerinnen aus der Republik Moldau oder Bauarbeiter aus Albanien wollen eher in Europa als in Kanada oder Neuseeland arbeiten, denn die (materiellen wie emotionalen) Mehrkosten einer transkontinentalen Berufslaufbahn liegen über den zu erwartenden Mehreinkünften. Bei Chirurgen, Mechatronikern oder Statistikern sieht diese Kalkulation schon etwas anders aus – weshalb diese Experten eher in Übersee ihr Berufsglück suchen. Doch je mehr Altenpfleger oder Bauarbeiterinnen zu global nachgefragten Mangelberufen werden, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass selbst diese Arbeitskräfte aus den ärmeren Teilen Europas der EU eines Tages den Rücken kehren.

Das Fatale an der Angelegenheit ist, dass nationalstaatliche oder europäische Institutionen nur wenig gegen diese Entwicklung ausrichten können. Legale Migration mag zwar notwendig sein, doch sie wird von großen Teilen der europäischen Bevölkerung nicht goutiert. Und was sollen neue Blue Cards oder Anwerbekampagnen im Ausland schon bewirken, wenn zugleich in der größten Volkswirtschaft der EU rechte Politiker und Unternehmer davon fantasieren, eigene Staatsbürger zu deportieren, weil ihnen ihre Nachnamen und ihre Hautfarbe nicht passen? Um sich die Auswirkungen derartiger Ungeheuerlichkeiten auf die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Europa auszurechnen, muss man wahrlich kein „Computer-Inder“ sein.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.