Expedition Europa

Apple lässt sich im räudigsten Viertel Neapels nieder

Mo­tor­radschie­ße­rei­en sind aus der Mode gekommen.
Mo­tor­radschie­ße­rei­en sind aus der Mode gekommen. Foto: Markus Kirchgessner/Picturedesk
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Expedition Europa: Als ich höre, dass Apple aus­ge­rech­net in ei­nem der räu­digsten Viertel Neapels seine erste „De­veloper Aca­demy“ auf europäischem Boden aufgemacht hat, muss ich das Welt­wun­der von San Giovanni se­hen.

Neapel, das war Wut und Scham. Neapolitaner galten als faul und kri­mi­nell, ließen 1980 die Veruntreuung der in­ter­na­tio­na­len Erd­be­ben­hilfe durch Camorra und kor­rupte Politik ge­sche­hen, von der Müll­ab­fuhr ganz zu schwei­gen. Mitunter unterlegt von der Bour­bo­nen-nos­tal­gischen Verschwörungstheorie, die Industrialisierung Nord­ita­li­ens wäre dem geraubten Gold­schatz der Bourbonen zu verdanken ge­we­sen, suhlte sich Neapel in der ewi­gen Op­fer­hal­tung „vit­ti­mis­mo“.

Nun aber das: Neapolitaner Start-ups schie­ßen aus dem Boden, Jahr für Jahr wer­den 400 IT-Entwickler aus­ge­bildet, die Zahl der Übernachtungen in der früher ge­fürch­te­ten Tourismusdes­tination hat sich laut „Neuer Zürcher Zeitung“ in den vergangenen fünf Jahren verfünffacht, die Mo­tor­radschie­ße­rei­en junger Camor­ra-Ma­fio­si in der Enge der Quar­tie­ri Spag­noli sind aus der Mode. In diesem Winter ist der Stolz übermächtig: Nachdem zuvor nur dreimal eine süditalienische Fußballmannschaft die bis dahin 118 ita­lie­nischen Meisterschaften gewonnen hatte – 1986/87 und 1989/90 der SSC Napoli mit dem jungen, wilden, vom Giu­liano-Clan mit Frau­en und Ko­kain belieferten Diego Maradona –, gewann Neapel 2022/23 wie­der den „Scudetto“. Diesmal ordentlich geplant und so­li­de fi­nan­ziert. Als ich dann noch höre, dass der IT-Gigant Apple aus­ge­rech­net in ei­nem der räu­digsten Viertel Neapels 2021 seine erste „De­veloper Aca­demy“ auf europäischem Boden aufgemacht hat, muss ich das Welt­wun­der von San Giovanni se­hen.

Der für Drogenhandel berüchtigte Dop­pel­riegel soll abgerissen werden

Nur zwei S-Bahnstationen vom Hauptbahnhof, vorbei an In­dus­trie­-Rui­nen wie der Konservenfabrik Ci­rio, und ich bin da. San Giovanni hielt beinah den Italienrekord von Beziehern des von der Meloni-Re­gie­rung eingedampften Bür­ger­gelds „Reddito di Cit­tadinanza“, als Dank für seine Einführung wählten hier 60 Prozent den M5S. Der er­s­te Eindruck: ma­le­rische Armut. Nach links geht es zur neuen Uni, hi­nein­ge­setzt vom Tech­no­kra­ten Gae­tano Man­fre­di, 2014 bis 2020 Rek­tor der Uni­versität Neapel Fe­derico II, seit 2021 direkt ge­wähl­ter Bür­ger­meister von Neapel. Nach rechts geht es zur „Bronx“. Der für Drogenhandel berüchtigte Dop­pel­riegel soll abgerissen werden, jetzt liegt er noch still da, mit einem neun Stockwerke hohen Murial von Che Guevara und „Dios Umano“ Maradona. Ich gehe durch die sich nach oben ­ver­jün­gende Schlucht zwischen den zwei Wohnblöcken. Sie ist schmal und düster und 60 Bal­kone lang, Beklemmung.

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