In der Ferne forschen

Österreichische Medizinerin in Stanford: „Da hilft auch ein reicher Papa nichts“

Mitten im Silicon Valley liegt die berühmte Universität im Ort Palo Alto. Hier legt man Wert auf Zusammenarbeit.
Mitten im Silicon Valley liegt die berühmte Universität im Ort Palo Alto. Hier legt man Wert auf Zusammenarbeit.Stanford University
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Die Medizinerin Gerlinde Wernig vereint an der Stanford University Forschung und Klinik gut. Lungenkrankheiten wie Fibrosen geht sie mit ihrem internationalen Team bis in jedes Detail nach.

„Zeit habe ich eigentlich keine. Aber einmal in der Woche Tennis schaffe ich zumindest“, sagt Gerlinde Wernig. Die Medizinerin arbeitet Vollzeit in Forschung und Klinik und hat Familie mit zwei Kindern. „Doch wir leben ein bisschen abseits, in einem Haus am Wald. Wenn ich eine Runde joggen gehe, ist der Blick auf den Pazifik wie ein kleiner Urlaub.“ Die Wienerin zog vor 20 Jahren in die USA. Zuerst nach Massachusetts an die Harvard University, seit 2008 ist sie in Stanford, Kalifornien. „Mir haben alle meine Stationen Spaß gemacht, und ich hatte überall ein tolles Team“, sagt Wernig.

Zellmaterial aus dem AKH

Schon beim Medizinstudium an der Uni Wien mit der Klinik-Ausbildung im AKH bemerkte sie, wie faszinierend Forschung ist. „Auch die Arbeit mit den Patienten motiviert. Bei meiner Dissertation haben wir zystische Fibrose erforscht, an Zellmaterial aus dem AKH.“

Gemeinsam mit ihrem Mann, der während des Studiums weit weg von ihr in Deutschland wohnte, suchte Wernig einst nach einer Stadt, wo für beide eine Facharztausbildung möglich war. Die Wahl fiel auf Bonn: „Damals war es noch Hauptstadt von Deutschland. Mein Mann bekam eine gute Neuropathologen-Stelle und ich an der Friedrich-Wilhelms-Universität eine für Innere Medizin.“

Bürokratisch war es zwar schwierig, da nicht alles aus Österreich angerechnet wurde. Aber das Umfeld war wirklich bereichernd, schwärmt Wernig. „Wir haben an den ersten Studien zu neuen Medikamenten gearbeitet und auf der Intensivstation direkt Stammzell-Transplantationen durchgeführt.“ Solche „autologen“ Knochenmark-Transplantationen funktionieren ähnlich wie Eigenblut-Konserven: Bei der Krebserkrankung „multiples Myelom“ kann die Behandlung mit Eigen-Stammzellen die Chemotherapie verträglicher machen. So stieg die Überlebenszeit seit damals von zwei auf heute fast 15 Jahre.

Später beim Umzug in die USA gab es wieder große bürokratische Hürden: Die Facharztdiplome aus Europa wurden nicht anerkannt, und Wernig musste die gesamte medizinische Ausbildung nachmachen (Pathologie und Hämatopathologie). „Aber es lohnt sich. Wir merken hier in den USA, wie motiviert alle Studierenden sind, schon in der Schule. Das ist anders als in Deutschland und Österreich, wo es manchmal als cool gilt, nichts zu leisten. Das gibt es hier nicht: Wer nicht performt, kommt nicht aufs College. Da kann auch der reiche Papa nicht helfen“, erzählt Wernig.

Ärmere Familien fördern

Sie genießt die Zusammenarbeit mit einer Handvoll ausgewählter Mitarbeitender an der Stanford University: „Es bewerben sich Abertausende, doch nur 90 Studierende werden jedes Jahr in Medizin zugelassen.“ Die Erinnerung an Wien, vor der Studienbegrenzung, ist intensiv: „Wir waren Tausende Leute und haben manchmal vor dem Hörsaal übernachtet.“

In Stanford schätzt Wernig auch Förderprogramme für afroamerikanische Studierende und sozial schwächere Familien: „Das Stammzellen-Programm hat einen tollen Outreach. Wir profitieren alle von den motivierten Leuten.“ Über die Ascina (Austrian Scientists & Scholars in North America) knüpft Wernig auch Kontakte zu österreichischen Forschenden in Amerika.

Kurz vor dem Online-Gespräch mit der „Presse“ im Dezember kam Wernig gerade von der größten Hämatologie-Konferenz mit 25.000 Leuten aus San Diego zurück: „Da finde ich immer neue Ansätze aus der Immunologie und Entzündungsforschung, die für unsere Fibrose-Themen spannend sind.“

Den Alltag im Stanford-Labor darf man sich nicht mit Zelllinien in der Petrischale vorstellen: Die Pathologin legt vielmehr Wert auf die gesamte Situation, wie sie im Körper vorliegt. Das Zusammenspiel mit Immunzellen, Wachstumsfaktoren, Signalproteinen, Blutversorgung und Nervenaktivierung – vieles von dem geht verloren, wenn man isolierte Zellen betrachtet. „Wir bekommen direkt aus der OP das Material von Lungentransplantationen, im Einverständnis mit den Patienten“, sagt Wernig. Lungenfibrose im Endstadium, systemische Sklerose und andere Autoimmunerkrankungen zeigen in den herausoperierten Lungen ihr wahres Gesicht.

„Ich glaube, künstliche Intelligenz wird die Medizin und Forschung revolutionieren: Es gibt so viele interessante Beobachtungen, die man erst verstehen kann, wenn mehr Strukturen durchforscht werden, als das menschliche Gehirn verarbeiten kann.“ Wernigs Team nutzt z. B. Computeralgorithmen für Analysen bei Spatial Transcriptomics oder Multiomics.

Warum es klappen kann

„In Stanford arbeiten alle Abteilungen gern zusammen. Das war in Harvard schwieriger, weil dort alles viel größer ist. In den USA ist es überhaupt so, dass man zwischen tausend Gründen, warum etwas nicht funktionieren könnte, die wenigen sucht, warum es klappen könnte“, sagt die Medizinerin.

Statt Konkurrenz und Neid fühlt Wernig hier in Stanford viel Unterstützung in der Kollegenschaft. „Die Seniors müssen auch zeigen, was aus ihren betreuten Leuten geworden ist. Man fördert sich über die gesamte Karriere.“ Anders als an vorigen Stationen kann sich Wernig hier stärker auf die Forschung konzentrieren. Durch Drittmittel finanzierte Projekte ermöglichen 70 Prozent Forschung mit 30 Prozent Dienst in der Klinik. „Wenn nicht ständig der Pager piept, dass man zu Patienten muss, kommt man schneller weiter in der Forschung.“

»Wir bekommen direkt aus der Operation das Material von Lungentransplantationen.«

Gerlinde Wernig

Stanford University Medical School

Lexikon

Gerlinde Wernig (49) ist Professorin
an der Stanford University, leitet eine Forschungsgruppe und ist in der Klinik tätig. Spezialgebiete sind Stammzellen und Fibrose-Erkrankungen. Nach dem Studium an der Uni Wien arbeitete Wernig an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn, bevor sie nach Harvard ging. Seit 2008 ist sie in
Stanford in Palo Alto, Kalifornien, im Zentrum des Silicon Valleys.

Die Leland Stanford Junior University wurde 1891 gegründet, ist eine Privatuni mit hohem Stiftungsvermögen und hat circa 17.000 Studierende an sieben Fakultäten. Als forschungsstarke Universität kann sie mit 30 Nobelpreisträgern aus ihren Lehrenden aufwarten. Besonders erfolgreich ist Stanford in Informatik (Verbindung zum Silicon Valley), Engineering, Economics, Law und Hochschulsport. Die Stanford Medicine liegt im Zentrum des Orts Palo Alto. Gerlinde Wernig ist im Department für Pathologie und am Institut für Stammzellforschung und Regenerative Medizin tätig.

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