Sachbuch

Wer entscheidet, wie wir uns erinnern?

Leitet seit 2018 das NS-Dokumentationszentrum München: Mirjam Zadoff, geboren 1974 in Innsbruck.
Leitet seit 2018 das NS-Dokumentationszentrum München: Mirjam Zadoff, geboren 1974 in Innsbruck. Frank Hoermann/Sven Simon/Imago
  • Drucken

Durch die Winkel der Erinnerung: Mirjam Zadoff steckt in ihrem Essayband Stationen gewalttätiger Menschheitsgeschichte ab, darunter die Kolonialisierung durch europäische Staaten, die Sklaverei in den USA und die „Trostfrauen“ – koreanische Zwangsprostituierte in Japan.

Da ist er schon wieder: gestikulierend, die Augen zusammengekniffen, im Hintergrund schlaff die Hakenkreuzfahne; schweigende Gestalten schauen zu ihm auf. 1935 hat ein gewisser Hermann Otto Hoyer dieses Bild gemalt, es trägt höhnisch einen Bibelvers als Titel: „Im Anfang war das Wort“. Dieses Artefakt ist seit den späten Vierzigerjahren im Archiv der U. S. Militärbasis von Fort Belvoir eingelagert, einem Bei-Ort des Erinnerns, der Öffentlichkeit weitgehend verborgen. Wer sich fragt, wo die Hitlerköpfe verblieben sind, derer es hierzulande reichlich gegeben haben muss, wird hier fündig – vielleicht deswegen, weil er in Mirjam Zadoffs Essayband „Gewalt und Gedächtnis“ darauf gestoßen ist – und kann (oder muss) andernorts vertiefend nachlesen, was es mit diesem Ort auf sich hat.

Erinnerung rund um den Globus

Mirjam Zadoff leitet das NS-Dokumentationszentrum München, ist Historikerin mit Schwerpunkt Jüdische Studien und hat dieses Fach u. a. an der Indiana University Bloomington unterrichtet. Umso erhellender – und dem Ideal eines Zusammenlebens verschiedenster Gruppen von Menschen im Dialog verpflichtet – ist der Zugang, den sie zum Themenkomplex der Erinnerung an Gewaltgeschichte gewählt hat: Die Texte führen rund um den Globus und bleiben auch nicht im Rahmen der NS-Geschichte, die ihrerseits über Europa hinausgeschwappt ist. So geht es um das Erinnern an die mit Gewalt durchsetzte Kolonialgeschichte etlicher europäischer Staaten, aber auch die im steifen Gegenwind von rechts besonders schwierige Erinnerungsarbeit zur Unrechtsgeschichte der Sklaverei in den USA – oder, in entgegengesetzter Himmelsrichtung, zur Geschichte der koreanischen Zwangsprostituierten in Japan, der „Trostfrauen“; über eine Initiative zum Bau eines entsprechenden Museums in Seoul hieß es, so berichtet Zadoff, ein solches würde „das Andenken der patriotischen Märtyrer (…) diffamieren“.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.