Jüdisches Leben in New York

Gaza-Krieg: Mahnwache auf dem Times Square

„Der Kampf gegen Islamophobie und Antisemitismus ist derselbe. Es ist der Hass auf Menschen, nur weil sie Juden oder Muslime sind“, sagt Jamal. 
„Der Kampf gegen Islamophobie und Antisemitismus ist derselbe. Es ist der Hass auf Menschen, nur weil sie Juden oder Muslime sind“, sagt Jamal. Foto: Timothy A. Clary/AFP/Picturedesk
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Meine Freundin zeigt mir eine Pinnwand in einem Stiegenhaus der Columbia University, auf der sie „Kidnapped“-Posters aufhängt. „Am Morgen sind sie wieder weg“, sagt sie, während sie neue Poster befestigt. Seit über 100 Tagen sind die entführten Menschen in den Händen der Hamas.

Der weitläufige Campus der Columbia University ist abgeriegelt. Polizisten sind vor den U-Bahnaufgängen entlang von Broadway und 116. Straße platziert. Eintritt zum Universitätsgelände ist nur mit Universitätsausweisen gestattet, die von Polizisten kontrolliert werden. Im Inneren des weiten Campus-Areals findet eine pro-palästinensische Demonstration auf den Stufen der Bibliothek statt. In Palästinensertücher ein­gehüllte Studenten, manche maskiert, skandieren und singen „Free, free, free Palestine“. Auf den Postern fordern sie eine Waffenruhe und auch „Call it a Genocide“ und „Divest from Apartheid“ steht auf Holztafeln geschrieben. Die gemalte Alma-Mater-Statue schwingt eine palästinensische Fahne und ist direkt vor der Bronzestatue platziert, die auf den Stufen vor der Columbia-Bibliothek thront. Daneben sind die Zahlen der Toten in Gaza, einschließlich Kinder, Frauen, UNO-Angestellte und Journalisten, aufgelistet. Auf den Stufen liegen mit roter Farbe durchtränkte weiße Stoffe.

Einige wenige jüdische Studenten in „Bring them home now“-T-Shirts und mit israelischen Fahnen stehen dem ruhig gegenüber und betrachten die Szene. „No ceasefire until the hostages are returned & Hamas destroyed“ steht auf einem Schild. Plötzlich erscheint ein wüst schimpfender Mann und durchbricht die relativ friedliche Szene. Er schreit „Fuck the Jews“ und macht drohende Gebärden. Er wird schnell von der Polizei und einem der Organisatoren zum Schweigen gebracht. Ein palästinensischer Student beschreibt mit Mikrofon seine Kindheits­erinnerungen in Gaza und bedankt sich bei den Protestierenden. Er berichtet von einer Kugel, die ihm im Alter von 15 Jahren von einem IDF-Soldaten ins Bein geschossen wurde, und von Leichen, die er als kleines Kind auf der Straße liegen sah. Der Protest endet, nachdem sich die Studenten für einige Minuten schweigend auf den Boden gelegt haben. Wenige Tage später suspendiert die Columbia University die Gruppen „Students for Justice in Palestine“ (SJP) und „Jewish Voice for Peace“ (JVP) als offizielle Studentenorganisation bis zum Ende des Herbstsemesters. „Diese Entscheidung wurde getroffen, nachdem die beiden Gruppen wiederholt gegen die Richtlinien der Universität in Bezug auf die Durchführung von Campus-Evens verstoßen hatten, was in einer nicht autorisierten Veranstaltung gipfelte“, so der Text der Aussendung.

Auch Holocaust-Überlebende darunter

Meine Freundin, sie will aus Angst vor Antisemitismus nicht namentlich genannt werden, zeigt mir eine Pinnwand in einem Stiegenhaus der Universität, auf der sie immer wieder „Kidnapped“-Posters aufhängt. Sie stammt aus Israel und unterrichtet an der Columbia University. Diese roten und weißen Plakate, auf denen Fotos und Kurzbeschreibungen der Hamas-Geiseln aufgedruckt sind, sieht man in New York an vielen Orten. „Am Morgen sind sie wieder weg“, sagt sie traurig, während sie wild entschlossen und verbissen neue Poster befestigt. Als eine Studentengruppe vorbeikommt, beginnt meine Freundin, die Geschichten der einzelnen Geiseln zu erzählen, und erklärt, warum sie die Poster aufhängt. Sie kennt Familienangehörige und Freunde der kleinen Kinder in Geiselhaft persönlich. Auch eine Holocaust-Überlebende ist darunter. Am nächsten Morgen schickt sie mir ein Foto von der Pinnwand, von der die „Kidnapped“-Poster wieder verschwunden sind. „Was mich am traurigsten macht, ist, dass diese Studenten, die sich selbst als Freiheitskämpfer und Menschenrechtsaktivisten sehen, nicht auch die Freilassung der Geiseln fordern“, sagt sie betrübt über die pro-palästinensischen Studentenproteste. Geschlafen oder gegessen hat sie seit Tagen nicht, und um die Sicherheit ihrer Kinder im College macht sie sich wegen der stark angestiegenen antisemitischen Zwischenfälle Sorgen. Später schickt sie mir ein Video von einer weiteren Demonstration, der sie am Nachhauseweg begegnete. „From the river to the sea, Palestine shall be free“, singen die Demonstranten vor dem Teacher College der Universität. Dieser Gesang wird von Juden im Allgemeinen als Aufforderung zur Auslöschung Israels verstanden, das sich auf dem Gebiet zwischen dem Fluss Jordan und dem Mittelmeer befindet.

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