EU-Kulturhauptstadt

Eröffnung: Stille Explosion im Salzkammergut

Genau, hier fliegt der Toplitzsee in die Luft: Natürlich nur auf Ihrem Handybildschirm, in der AR-Installation von Eva Schlegel, die dabei Pfundnoten und Schmetterlinge freilässt.
Genau, hier fliegt der Toplitzsee in die Luft: Natürlich nur auf Ihrem Handybildschirm, in der AR-Installation von Eva Schlegel, die dabei Pfundnoten und Schmetterlinge freilässt.Schlegel/2MVD
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Dieses Wochenende beginnt endlich das Spektakel, das sich als angenehm unaufdringlich, dafür weiblich, poetisch und intelligent herausstellt. Understatement ist hier Konzept – und das ist ganz wunderbar.

Nein, Ton gebe es keinen dazu, sagt Eva Schlegel. Das Wasser des Toplitzsees explodiert in aller Stille. Aber gewaltig. Gerade die Stummheit dieses Spektakels, das sich mitten im Naturschutzgebiet – natürlich nur auf den Bildschirmen der Smartphones – ereignet, sei ihr ein Anliegen gewesen, sagt die Künstlerin. Seit mehreren Jahren schon vertieft sie sich in diese Augmented-Reality-Projekte, in denen digitale Bilder unsere Wahrnehmung der natürlichen Umgebung infiltrieren.

So hat Schlegel auch für das Kulturhauptstadtjahr Salzkammergut, das dieses Wochenende eröffnet, drei derartige Stationen eingerichtet. Eine davon am Toplitzsee, dessen Mythos als Nazischatzlager sie damit nicht nur thematisiert, sondern auch ins Heute trägt: Zwar wirbeln durch die fingierte Sprengung erst einmal die gefälschten Pfundnoten in die Luft, mit denen die Nazis die englische Währung zusammenbrechen lassen wollten, sie dann aber schleunigst im See versenken mussten. Ein zweites Mal aber flattern Schmetterlinge aus dem zerstiebenden Wasser: Die rund um den Toplitzsee kulturell so rege Gemeinde rundum will Schlegel damit würdigen. Es gebe eben nicht nur eine historische Dimension hier, sondern auch eine positive gegenwärtige.

Diese Geschichte kann stellvertretend für das Programm dieses schon traditionell holprig verlaufenen EU-Kulturhauptstadt-Projekts stehen. Sei es Graz 2003, sei es Linz 2009: Lokale Unzufriedenheit scheint mit programmiert. Was beim ganzen Prozess, durchgestanden von Leiterin Elisabeth Schweeger samt allen anderen Beteiligten, am Ende herausgekommen ist, muss gelobt werden. Das Ergebnis entspricht der schier unlösbaren Aufgabe, aus 23 Gemeinden in zwei Bundesländern keine Pseudohauptstadt zu formen, sondern ein kulturelles Myzel sichtbar zu machen, das aus der Tradition gespeist wird und sich in die Zukunft streckt. Und diese ist hier eindeutig – weiblich. Wie der überwiegende Teil des Kulturhauptstadt-Teams, wie die wesentlichen Protagonistinnen des (Bildende) Kunstprogramms. Dass darauf nicht penetrant herumgeritten wird, ist Teil der Freude.

Understatement ist hier Konzept

Dieses Hintergründige, dieses Suchen-Müssen, dann aber Verweilen-Wollen, beschreibt den Charme, der sich langsam erschließt. Understatement prägt ein künstlerisches Klein-Klein, das sich in ein geopolitisches schmiegt. Größe soll gar nicht vorgetäuscht werden, gesucht wird die Weite (300 Projekte insgesamt). Einige Kunstbetrieb-Stars können bei Bedarf dennoch vorgewiesen werden, wie Ai Weiwei, der im Sommer in Kaiserpark und Marmorschlössl mächtig präsentieren wird, oder Chiharu Shiota, die im April den KZ-Gedenkstollen Ebensee mit roten Kleidern dramatisiert.

Zur Eröffnung aber: stille Explosion. Allein, wenn man in Bad Ischl – erste Anlaufstelle als Festivalzentrum und durch die Eröffnungszeremonie – einfährt, mit der Bahn natürlich, stößt man: zuerst auf das gelbe (Ach, der Neid) Plakat der Konkurrenz, des Gegenwartskunstfestivals Tangente St. Pölten, hervorgegangen aus der (glücklosen) Bewerbung dieser Stadt um die Kulturhauptstadt. Doch man kann abbiegen. Ins Bahnhofsbeisl, denn das gibt es hier jetzt wieder. In Qualität und Spirit, die es zum Role Model für all die traurigen, verlassenen Bahnhofslokalitäten des Landes machen soll, vor denen die (teils) traurige, verlassene Jugend sonst herumhängt. In Ischl ist die Jugend drinnen, die Schüler der Tourismusschule Ischl betreiben es als Pop-up mit Koch „Krauli“ Held. Es ist Teil des Kulturhauptstadt-Projekts „Wirtshauslabor“.

Die Sauna, die seit Freitag am Traunsee auf einem Floß schwimmt, kann reserviert werden und zu einem Anlegeplatz bestellt werden zwecks Gruppenbildung, wohligen Gesprächen und sonstiger Gemeinschaftsrituale. „Plateau Blo“ ist ein Projekt gemeinsam mit Studierenden der Kunstuni Linz.
Die Sauna, die seit Freitag am Traunsee auf einem Floß schwimmt, kann reserviert werden und zu einem Anlegeplatz bestellt werden zwecks Gruppenbildung, wohligen Gesprächen und sonstiger Gemeinschaftsrituale. „Plateau Blo“ ist ein Projekt gemeinsam mit Studierenden der Kunstuni Linz.Michael Wittig

Weiter geht es in die „toten Winkel“ dieser Stadt. Das wird es sein, was nach dem Eröffnungstrubel am Samstag in Ischl erst einmal bleiben wird. „Luv Birds in toten Winkeln“ heißt auch Maruša Sagadins Neo-Pop-Installation im Hintereingangs-Stiegenhaus der Post. Die Mensch-Säulen-Chimären haben Zungen, Bäuche, Nasen. Bis vorige Woche standen sie vor der Schirn Kunsthalle Frankfurt, dem ersten größeren internationalen Auftritt der Wiener Künstlerin. Jetzt kann man hier auf Bänken dazwischen Platz nehmen. Ein neues Platzerl wie viele, die in diesem Jahr entstehen sollen. Sei es die Sauna, die auf einem Floß über den Traunsee schippert, von jedem reservierbar. Sei es das Kulturzentrum, das dauerhaft in dem seit den Sechzigerjahren leerstehenden Sudhaus in Ischl eingerichtet werden soll.

Hauptausstellung im Sudhaus

Hier ist die Hauptausstellung untergebracht, eine von Gottfried Hattinger kuratierte Gruppenschau, die Arbeiten rund um Salz und Wasser versammelt. Sigalit Landaus Schuhe etwa, im Toten Meer vom Salz überzogen, denen man per Video zusehen kann, wie sie sich durch die Eisschicht eines Süßwassersees fräsen. Oder das Labyrinth aus sechs Tonnen Salz, das Motoi Yamamoto in meditativer Feinarbeit gestreut hat. Die ganze Ausstellung ist poetisch, ideologisch angenehm unaufdringlich. Vor allem aber ist auch sie programmatische Essenz: Sie bringt einen Ort, an dem 400 Jahre lang Salz gekocht wurde, der dann verschwand, ins Heute. Und verheißt eine Zukunft. Voll Leben.

Alle Infos: www.salzkammergut-2024.at

Motoi Yamamoto beim streuen des Salz-Labyrinths im Sudhaus in Bad Ischl.
Motoi Yamamoto beim streuen des Salz-Labyrinths im Sudhaus in Bad Ischl.Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut 2024

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