Replik

Was bringt das österreichische Klimaticket tatsächlich?

Seien wir ehrlich: Das Klimaticket wird seinem Namen nicht gerecht. Es ist weniger effizient und sozial treffsicher als behauptet.

Am 4. Jänner berichtete „Die Presse“ (auf Seite 4) über die Antwort der Klimaministerin, Leonore Gewessler, auf eine parlamentarische Anfrage, was das Klimaticket bringe. Leider wurden in diesem Bericht nur Teil­informationen geliefert, die wesentliche, aber unangenehme Aussagen vermeiden. Auf die zentralen Fragen, was das Klimaticket an Treibhausgas (THG) einspart und wie effizient es im Vergleich zu anderen Klimaschutzmaßnahmen ist, wird keine Antwort geliefert. In derselben Ausgabe der „Presse“ (Seite 12) wurde in einem Interviewbericht mit Heinz Faßmann, Präsident der Akademie der Wissenschaften, und Wim van Saarloos, Präsident des European Academies Science Advisory Council, mit Recht darauf hingewiesen, dass eine erfolgreiche Klimapolitik auch deren Kosten mehr in den Fokus rücken muss. Letztendlich müssen wir uns eine erfolgreiche Klimapolitik auch leisten können und wollen. Im Gegensatz zu einer selektiven Informationspolitik muss eine sachlich fundierte und vollständige Offenlegung aller relevanten Auswirkungen sichergestellt werden, auch wenn diese unpopuläre Effekte beinhaltet. In den folgenden Ausführungen wird versucht, diese fehlenden Informationen zum Klimaticket zu ergänzen.  

Reduktion der THG: Nach dem „Klimaticket-Report 2022“, der im Dezember 2023 vom BMK veröffentlicht wurde, wird die Reduktion der THG durch das österreichweite Klimaticket im Jahr 2022 mit etwa 65.000 Tonnen CO2eq-Emissionen abgeschätzt. Das sind nur rund 0,3 Prozent der 20,6 Millionen Tonnen der verkehrsbedingten THG in Österreich. Der Beitrag des Klimatickets zur Reduktion der THG-Emissionen ist also relativ gering. Das Klimaticket wird seinem Namen nicht gerecht, sondern stellt eine ÖV-Tarif-Subvention dar. Es hat keinen sozialen Ausgleichseffekt, da auch gut situierte Bevölkerungsgruppen subventioniert werden. Die dadurch bewirkte Überlastung der Bahn durch neu generierten Verkehr und weniger durch Umsteiger hält zukünftige potenzielle Umsteiger vom Auto auf die Bahn eher ab. 

Effizienz des Klimatickets: Setzt man diese Reduktion der THG den veröffentlichten Budgetkosten des Bundes nach den parlamentarischen Unterlagen für das Klimaticket von 160 Millionen Euro im Jahr 2022 gegenüber, so ergeben sich Kosten von 2462 Euro je eingesparter Tonne der CO2eq-Emissionen. Im nationalen Emissionshandel betragen die CO2-Kosten im Jahr 2022 ca. 33 Euro/Tonne. Die Nutzen-Kosten-Effizienz der Maßnahme Klimaticket ist also sehr gering. Die Kosten des Bundes für die regionalen Klimatickets der Länder und die begleitende Ausweitung des regionalen Verkehrsangebots von zusätzlichen 180 Millionen Euro/Jahr sind in dieser Betrachtung nicht berücksichtigt. Damit würde die Effizienz noch weiter sinken.

Vergleich mit anderen Maßnahmen: Es stellt sich die Frage, wie groß die Reduktion und Effizienz anderer Maßnahmen zur Reduktion der THG im Vergleich zum Klimaticket wäre, wie z. B. durch eine Ökologisierung des Pendlerpauschales oder die Reduktion des Tempolimits in Österreich. Die Reduktion der Tempolimits auf 100/80/50/30 auf Autobahnen, Landstraßen, inner­örtlichen Haupt- und Neben­straßen wurde von der österreichischen Forschungsgesellschaft Straße – Schiene – Verkehr untersucht, inklusive einer Verstärkung der Überwachung sowie einer Erhöhung des Strafniveaus nach dem Vorbild der Schweiz. Damit würde eine Reduktion der THG von etwa 1,9 Millionen Tonnen/Jahr erreicht werden. Das sind rund 9 % der 20,6 Millionen Tonnen der verkehrsbedingten THG 2022 in Österreich. Der Beitrag dieser Maßnahmen wäre also um rund das 30-Fache größer als der des Klimatickets. Setzt man diese Reduktion in ein Verhältnis der dafür benötigten Budgetkosten für Infrastruktur und Verwaltung, abzüglich zusätzlicher Bußgeldeinnahmen, von 131 Millionen Euro/Jahr, so ergeben sich Budgetkosten von 69 Euro je eingesparter Tonne der CO2eq-Emissionen.

Die Nutzen-Kosten-Effizienz der Maßnahme Tempolimit ist also um ein Vielfaches größer. Der Realisierung dieser Maßnahme steht die derzeit geringe Akzeptanz in der Bevölkerung entgegen. Aber die momentane Einstellung ist durch professionelle Information und Bewusstseinsbildung veränderbar. Das wurde bei der Einführung von flächenhaftem Tempo 30/50 im Stadtgebiet von Graz vor drei Jahrzehnten eindrucksvoll bewiesen, heute liegt die Zustimmung der Grazer Bevölkerung bei über 80 Prozent.

Resümee: Es gibt eine große Anzahl von viel wirksameren Klimamaßnahmen als das Klimaticket, die einen deutlich geringeren Budgeteinsatz benötigen. Die verkehrspolitische Erfahrung zeigt, dass mit freiwilligen Anreizmaßnahmen die beschlossenen Klimaziele nicht erreicht werden können. Das gelingt nur mit einer abgestimmten Kombination von sogenannten Push- und Pull-Maßnahmen. Im Sinne einer faktenorientierten Klimapolitik, aber auch im Sinne des geplanten Informationsfreiheitsgesetzes wäre zu wünschen, dass sich die Politik einem ehrlichen, partizipativen Diskussionsprozess für effiziente Klimamaßnahmen stellt. Dazu sind die Bevölkerung, die Wissenschaft, die Opposition, Gebietskörperschaften usw. auf geeignete Weise beizuziehen.

Der Autor

Gerd Sammer (*1944), Bauingenieursstudium, ist Mitglied der Monitoring-Gruppe Klimaübereinkommen und Verkehr der Österreichischen Forschungsgesellschaft Straße – Schiene – Verkehr, FSV Wien. Em. Univ.-Prof. am Institut für Verkehrswesen der Universität für Bodenkultur, Wien.

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