Handball-EM

EHF-Präsident Wiederer: „Österreich ist in der Weltklasse angekommen!“

Mykola Bilyk ist einer der Topstars der Handball-EM in Deutschland.
Mykola Bilyk ist einer der Topstars der Handball-EM in Deutschland.Imago / Sanjin Strukic/pixsell
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Der Wiener Michael Wiederer ist Präsident der European Handball Federation (EHF). Er erklärt das EM-Phänomen in Deutschland, freut sich über die Sensationen des ÖHB-Teams und lobt die Nachwuchsarbeit der Margareten Fivers. Über Hauptamtlichkeit, Vision, warum die EHF ihren Sitz in Wien hat und wieso Russland nicht mitwirft.

Die Presse: Es läuft die erfolgreichste Handball-EM aller Zeiten. Mit Zuschauerrekorden, schnellem Spiel und großartigen Ergebnissen der Österreicher, die noch Chancen auf das Halbfinale haben. Warum ist Handball in Deutschland so populär?

Michael Wiederer: Das ist leicht erklärt: in Deutschland gibt es eine breite Basis an Spielern und Vereinen, es ist der größte Verband in Europa und die Sportbegeisterung ist in der Gesellschaft fest verankert. Dazu gibt es mehr als ausreichend große Hallen, das Paket stimmt. Partien in der Köln-Arena sind ein Highlight, und die EHF setzt mit Europameisterschaften immer neue Standards. Das läuft seit 2020, dem Event in Österreich, mit 24 Mannschaften wunderbar. Die Zusammenarbeit mit Deutschland ist perfekt, die Technik mit Videowiederholungen oder VAR dokumentiert auch den professionellen Zugang. Ein Spiel wird zum Erlebnis, dieser Zugang funktioniert. Der deutsche Zuschauer ist auch daran interessiert, sich Spiele anderer Mannschaften anzuschauen. Das gelingt ansonst in kaum einer anderen Sportart, im Fußball wäre das undenkbar.

Deutschland hat, im Vergleich zu Österreich, eine große Sportkultur und ein Verständnis.

Ja, das stimmt. Und, ich hoffe das kommt jetzt nicht zu kritisch rüber, es gibt in Deutschland auch eine andere Medienkultur. man beschäftigt sich mehr mit Sport, vielen Sparten. Es gibt nicht nur Fußball und Ski oder Berichte, wenn Sensationen bzw. Skandale vorliegen. Hier haben auch Randsportarten bessere Chancen, und diese Berichterstattung hat schon ihren Einfluss.

EHF-Präsident Michael Wiederer
EHF-Präsident Michael WiedererImago / Ying Tang

Stichwort Sensationen: Ich halte Österreich für die Sensation dieser EM. Die Mannschaft hat weiterhin die Chance auf das Halbfinale, wenn sie gegen Island gewinnt und Deutschland verliert.

Es ist jedenfalls kein Zwergen-Phänomen. Das wäre es mit nur einem Ergebnis, wie gegen Kroatien. Aber dann kamen das Spanien- und das Ungarn-Spiel. Haben Sie gesehen, wie viele Champions-League-Spieler in diesen Teams sind? Das ist eine riesen Leistung. Das Deutschland-Spiel, gegen 20.000 Fans in der Halle und mit diesem Druck, das stellt dieser Mannschaft im Hier und Jetzt ein sehr gutes Zeugnis aus. Österreich ist in der Weltklasse angekommen!

Mykola Bilyk bei Wurf.
Mykola Bilyk bei Wurf.GEPA pictures / Norbert Schmidt

Bilyk, Möstl, Hutecek, Wagner – diese Namen muss man sich merken.

Hutecek ist herausragend! Im Unterschied zu anderen Spielmachern, die von der Deckung herausgenommen werden oder am Flügel gestellt, ist er mittendrin. Er ist die Ausnahme, ist in der Abwehr der tragende Spieler, hat den Überblick. Er hat sich ganz nach oben gespielt.

Löst diese EM in Österreich ein Umdenken aus, kommen neue Nachwuchskonzepte und Events?

Ich möchte dem ÖHB nichts aus der Ferne zurufen, das ist nicht meine Aufgabe. Aber diese EM ist für alle Spieler eine große Chance. Einige sind jetzt auch für deutsche Topvereine interessant geworden (Möstl steht vor Lemgo-Transfer, Anm.), für alle jungen Akteure ist es auch ein Signal. Es zeigt, was möglich ist und als Profisportler muss man auch mit dem Kopf dabei sein, die Überzeugung haben, das Niveau zeigen. Vor dem Frankreich-Spiel hatte ich eher befürchtet, dass es eine deutliche Geschichte wird, weil Karabatic und Co. wie auch Dänemark eine ganz andere Kapazität haben. Das 28:33 war beeindruckend und darauf muss man aufbauen.

Lukas Hutecek ist die Entdeckung dieser EM.
Lukas Hutecek ist die Entdeckung dieser EM.Imago / Ralf Treese

Worauf?

Ich denke, es mangelt in Österreich an den finanziellen Ressourcen. Was aber etwa die Margareten Fivers an Spielern produzieren, ist enorm. Nigg, Hutecek, Damböck, Wagner, Filipovic oder Martinovic (beide Kroatien, Anm.), die zeigen doch alle bei der EM auf. Es braucht einen Klub, der eine Sogwirkung schafft mit genug Finanzen und internationalem Spiel. Die Fivers waren in der European League, Bregenz spielte schon in der Champions League und das sind die wichtigen Erfahrungen, die man bräuchte. Es ist unter diesen Voraussetzungen aber finanziell nicht durchzuhalten, das hängt mit der Fankultur, Tickets, Sponsoren und Live-TV zusammen. Spieler gibt es genug, aber es scheint für mich ein finanzielles Problem zu sein in Österreich.

Stichwort Geld: Sie sind hauptamtlicher Präsident, es gibt in der EHF ein Management-Board und kein Präsidium voller Funktionäre. Das gibt es in Österreichs Verbänden nicht, wäre aber nötig für Profitum und Fortschritt.

Es geht gar nicht mehr anders, realistisch gesehen. Wir hatten mit drei Mitarbeitern angefangen sind momentan bei 88. Das kann man nicht führen ohne Profistrukturen. 2016 wurde ich gewählt, es war ein Paradigmenwechsel, aber nicht wegen mir als Präsident, sondern mit der ganzen Struktur. Es hängt schon an den handelnden Personen, muss zur Zeit passen und die wird bei vielen Verbänden schon kommen. Manche sind aber auch nicht groß genug, brauchen das also nicht. Die Handballverbände in Dänemark, Norwegen, Spanien und Frankreich haben jedoch hauptamtliche Präsidenten, die zuvor Generalsekretäre waren und bauen neue Wege in ihrem Sport.

Kraftpaket Tobias Wagner.
Kraftpaket Tobias Wagner.GEPA pictures / Norbert Schmidt

Die EHF hat ihren Sitz in Wien, das weiß in Österreich aber kaum einer. Mit Ihnen steht Europas Handball ein Österreicher vor, auch das wissen nur Insider.

Es hat zwei Seiten. Die, die aus dem österreichischen Handball gekommen sind, haben es beklagt, weil es niemanden kümmert. Andererseits sind wir exterritorial, nicht ins Tagesgeschehen involviert, erhalten keine Subventionen – aber ich will wirklich nicht nach Österreich hineinreden. Wir haben Mitarbeiter aus 25 Nationen bei uns, es gibt viele Kulturen und Sprachen. Und, das muss ich anbringen: Erwin Lanc hat die EHF nach Wien geholt. Er war schon immer ein Visionär und hat versucht, jungen Mitarbeitern eine Chance zu geben.

Wenn wir schon von Politik reden. Die Linie der EHF ist in der Russland-Frage, die den Sport global polarisiert, ganz klar. Es sind keine Teams dabei.

Wir haben Russland und Belarus nicht dabei. Wir haben dadurch sehr viele Sponsorengelder, aus dem ganzen Netzwerk, verloren. Es wäre aber anders nicht weiterführbar und unverantwortbar gewesen. Wir wickeln diese Fragen amikal ab, weil es ein gegenseitiges Verständnis zu dieser Situation gibt. Weltverband und wir haben eine klare Kommunikation, es ist keine feindliche Haltung und wir haben auch weiterhin direkten Kontakt.

Finden Sie es richtig, dass einige unter neutralem Status bei Olympia dabei sein werden? Wenn es eine Chance für Frieden gibt, darf die nicht ungenützt bleiben, obwohl die Situation heikel anmutet.

Mannschaften sehe ich nicht bei Olympia, sie treten ja als Nationalteam an. Bei Einzelsportlern sehe ich es als vernünftigen Kompromiss. Aber, wie erklärt sich einer, wie nicht? Ob es am Ende überhaupt dazu kommen wird in Paris mit all den Auflagen und dem politischen Druck, bleibt abzuwarten. Es ist ein sehr sensibles Thema.

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