Szenejargon

Wie die Jugend heute spricht: Sehr „liebi“, aber auch „delulu“

Die Jugend bedient sich an Diminutiven.
Die Jugend bedient sich an Diminutiven.
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Die Jugend verniedlicht alles, was ihr in die Quere kommt – aus englischer wie deutscher Sprache. Wem das noch nicht süß genug ist, setzt auf Mäuse.

Es gehört zur dynamischen Natur der Sprache, dass Eltern ihre Sprösslinge irgendwann nicht mehr verstehen. Oder nur noch partiell. Ein Beispiel: „Du Süßmaus bist voll delulu.“ Die Süßmaus – in Chatverläufen der jungen Generation schon lang omnipräsent – bedarf keiner Übersetzung. Das Adjektiv hingegen schon: „delulu“ kommt vom englischen Wort „delusional“, zu Deutsch wahnhaft. In seinem niedlichen Kürzel beschreibt es die Verschwörungstheorien zum populären Promi-Paar, das Erträumen einer Beziehung mit jemand Unerreichbarem oder das Herbeifantasieren eines Traumberufs. Alles, nur nichts Handfestes.

Im Netz ist „delulu“ längst zum Mindset gediehen. Gerügt werden auf TikTok jene Freundinnen, die rationale Ratschläge erteilen, statt „delulus“ zu bekräftigen (der Terminus kann auch Nomen sein). Denn: „Being delulu is the solulu“, „delulu“ zu sein, ist die Lösung („solulu“ kommt vom englischen „Solution“). Seine Wurzeln hat das Wort, wenn man es so nennen mag, in der K-Pop-Community, dort wurden zuerst parasoziale Beziehungen zu Stars so betitelt.

Auffallend am Jugendjargon: das häufige Bedienen an Diminutiven. Im Englischen mit Reduplikation der letzten Silbe, im Deutsch mit dem „i“ am Ende. Am gängigsten – und auch nicht wirklich neu – ist wohl „oki“, einst aus dem Amerikanischen eingedeutscht und verniedlicht. Heute werden recht inflationär allerlei Worte behübscht: „Danki“ schreiben sich die Jungen, auch allerhand Adjektive bekommen ein „i“ verpasst. „Süßi“ fungiert als Eigenschaftswort wie als Kosename, eine Geste kann „liebi“ sein, oder „komi“ eine unangenehme Situation (komisch). Beliebte Wendungen sind „Alles guti?“ oder „Bis danni“.

Die Sprechweise hat ein bisserl was von Babysprache. Auch weil die verniedlichten Wörter von Rednerinnen entsprechend betont werden. Ein Duzi-duzi unter Erwachsenen. Im Säuglingsalter stimulieren hohe Stimme und agile Intonation eine hohe Dopamin-Ausschüttung und erzeugen ein wohliges Gefühl. Auch auf Erwachsene dürfte die Redensart noch beglückend wirken, aufgrund früh gespeicherter Erinnerungen. Der Baby-Talk (kein Jugendwort, sondern Fachjargon) vermittelt Zuneigung und Leichtigkeit. Mittels Sprachstil wird die krisengebeutelte Welt versüßt, das kann man sich durchaus abschauen von den Jungen.

Die Mäuse sind los

In den zeitgeistigen Baby-Talk fügt sich auch die (Süß-)Maus gut ein. Als „Mauserl“ wurden Frauen früher geliebkost oder herabgewürdigt. Heute zieht der Nager durch Fernsehen, Beruf und Kleinanzeigen. „Süßmaus-WG“ sucht „Mitbewohnermäuse“, liest es sich auf dem Portal WG-Gesucht gleich mehrfach. In der RTL-Dating-Show „Die Bachelors“ (ja, es sind heuer zwei Junggesellen) nennt sich eine Handvoll Teilnehmerinnen die „Mäusegang“. Und junge Angestellte mit amikalem Verhältnis werfen mit dem Begriff „Business-Maus“ um sich, freilich nur in Abwesenheit der älteren Kollegenschaft. Aber Achtung, in falschem Rahmen wird er schnell wieder zur Schikane.

Ihre Anfänge hat die emanzipierte Maus in der queer-feministischen Community, dort wurde Maus zuallererst genderunabhängig benutzt und ist ähnlich der „delulus“ zum Lebensstil emporgestiegen. Prominente lancierten die Termini im Netz, darunter Satiriker und Twitter-Größe Sebastian Hotz alias El Hotzo und Rapperin Lila Sovia. Sie hat der Süßmaus prompt eine eigene Nummer gewidmet („Wir sind zu hundert Prozent Süssmaus [sic!]“). Memes mit Mäusen werden hundertfach geteilt und laden ein zum „Mausig-Sein“.

Jüngst lässt sich neben neuen alten Termini auch eine veränderte Aussprache beobachten. Die „BBC“ schreibt gar von einem neuen Akzent, den uns TikTok unterbreitet. Dazu gehört der „uptalk“, eine sich steigernde Intonation bei deklarativen Sätzen, und der sogenannte „vocal fry“, ein leisen Knarren beim Sprechen. Der „uptalk“ ermutigt die Schaulustigen, dranzubleiben, weil er kein Ende suggeriert, für Influencer also ein gutes Mittel. Der „vocal fry“ lässt Rednerinnen geheimnisvoll wirken, wenngleich seine positive Wahrnehmung umstritten ist.

Freilich gab es das Phänomen der Influencer-Sprache schon vor dem Videoschnipselportal, auf Instagram und YouTube etwa. Mit TikTok hat es sich aber einmal mehr verbreitet, primär unter vorwiegend weiblichen „Content Creators“, weswegen der Sprechstil auch mit ebenjenen jungen Frauen konnotiert wird. Der Sprachwissenschaftler Christopher Strelluf von der Universität Warwick geht sogar so weit, dass er jungen Frauen eine führende Rolle in der Sprachentwicklung zuschreibt. Gleich mehrere Studien haben ergeben, dass Männer im sprachlichen Wandel gegenüber ihnen eine ganze Generation zurückliegen. Zuhauf deuten Frauen in neuer Intonation mehr und weniger bekannte Begriffe nach Kräften um. Das mag man nun „delulu“ finden, ist aber auch ziemlich starki.

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