Gastkommentar

Die eigentliche Gefahr von rechts

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Einwurf. Staatstragende Kräfte erklären den Rechtstrend gern mit der multiplen Krise. Fadenscheinig! So etwas entsteht nicht so plötzlich.

In den vergangenen Wochen lesen wir sowohl über Österreich als auch über Deutschland immer wieder, dass die Kickls, Höckes und wie immer sie heißen in Europa die Demokratie gefährdeten. Mir kommt das vor, als würde man bei massiven Darmproblemen nur das Bauchweh, nicht seine Ursache behandeln. Die eigentliche Gefährdung der Demokratie liegt – wie kürzlich auch der Havard-Professor Michael Sandel in Wien ausgeführt hat – nicht an einzelnen recht(sextrem)en Politikerinnen und Politikern, sondern an den gesellschaftlichen Um- und Missständen, die ein Drittel der Bevölkerung so verbittert, wütend, frustriert sein lassen, dass sie für rechte (Hetz-)Parolen und teilweise menschenverachtende Sprüche empfänglich sind.

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Wer etwa kürzlich die ORF-Doku „Weltweit“ über den mehrfach gegen das Menschenrecht auf Wohnen verstoßenden Mietwucher internationaler Immobilienkonzerne in den USA, Deutschland, Skandinavien bis nach Österreich gesehen hat, der bekam zu spüren, wie Wut und Verzweiflung gegen so ein „System“ entstehen. Das Ganze ist auch nicht allein mit einem Defizit an Bildung zu erklären, die darin versage, Menschen zu mehr Humanität und Kritikfähigkeit zu führen. Nachdem – trotz hohen Anteils bildungsferner Wählerinnen und Wähler – auch immer mehr halbwegs gebildete Menschen zu den FPÖ-Sympathisantinnen und -Sympathisanten gehören, muss schon vieles in einer Gesellschaft faul sein, dass so etwas möglich ist.

Rechtes Feuer am Dach

Wahrscheinlich spielt eine ganze Reihe weiterer Faktoren eine Rolle: so etwa die in Österreich im Europavergleich besonders krasse ungerechte Verteilung des Reichtums und die weitgehende Sanktionsfreiheit der Reichen, wenn sie Mist bauen, wie wir es gerade beim Pleitier Benko erleben. Oder wenn der (nicht rechtskräftig, aber immerhin) zu acht Jahren Gefängnis verurteilte Ex-Finanzminister Grasser bei den Reichen und Schönen in Kitzbühel bestgelaunt in die Party-Kameras grinst, als ob nichts wäre, dann nährt das die Auffassung, dass es sich manche eben richten, wie sie wollen. Und wenn selbst ein sozialdemokratischer Ex-Kanzler nichts dabei findet, in kürzester Zeit Millionenhonorare zu lukrieren, während viele sozial Schwächere ihre Wohnungen kaum heizen können, dann ist rechtes Feuer am Dach.

Zugleich werden Reiche auch noch geschützt (etwa vor einer Vermögensteuer), um ja der Regierung gewogen zu bleiben. Dazu passt die schleichende und zum Teil auch offene Korruption: Mächtige schieben sich bestbezahlte Pöstchen zu und scheiternde oder abgetretene PolitikerInnen finden sich auf einmal ohne erkennbare Qualifikation auf bestbezahlten Spitzenpositionen wieder: Auch da wiehert der Gaul im rechten Kobel.

Gemeinhin erklären die staatstragenden Kräfte den Rechtstrend mit der multiplen Krise (Corona, Teuerung, Ukraine, Nahost-Krieg u. a.­ m.). Aber das ist fadenscheinig: So etwas braut sich nicht in drei, vier Jahren zusammen. Ich denke nur an Beispiele wie die Finanzkrise 2008, in der viele mit verständlichem Zorn beobachtet haben, wie das Finanzkapital letztlich gestützt wird. Corona hat meines Erachtens nur etwas besonders forciert, was schon länger da war: ein tiefes Misstrauen gegen den Staat und seine Repräsentantinnen und Repräsentanten (das „System“ und die „Systemlinge“). Im Fall Corona wurde das besonders durch den Zugriff auf den Körper (Impfzwang) oder durch das Einschränken sogenannter persönlicher Freiheit (die kaum Rücksicht auf die Vulnerablen kennt) verschärft.

Dieser überbordende Aufschrei gegen unsere „Diktatur“ – weit über das rechte Lager hinaus – hat eine längere Vorgeschichte aus Bevormundung, Benachteiligung, Unterordnung unter schlecht kommunizierte Regeln usw. Hier müssen sich auch Teile der Linken fragen, ob gesellschaftspolitische Standpunkte (wie bestimmte Formen des Genderns, gegen die alle Rechtspopulisten – und nun auch unser einfallsreicher Kanzler – hetzen, oder die politische Zeigefinger-Korrektheit u. a.) nicht zu sehr über die Köpfe der Leute hinweg „von oben verordnet“ wurden, sodass sich alle Andersdenkenden moralisierend entwertet fühlten.

Selbstkritik der Regierenden

Auch die Unterstützungsleistungen für die Ukraine sind so ein Thema, gegen das die extreme Rechte polemisiert und damit nicht selbst ernannte Friedensapostel erreicht, sondern diejenigen, die sich ihrer eigenen Förderung und eines entsprechenden sozialen Netzes, das sie in Gefahr auffängt, nicht oder nie ganz sicher sein können. Auch das Migrationsthema als Gassenhauer rechter und rechts-angepasster Politik funktioniert so:. „Denen schiebt man alles in den A…“, hört man oft – und das können nur Leute ernsthaft fantasieren, denen es selbst nicht so gut geht.

Ergo: Schluss mit dem alleinigen Starren auf die rechten Hetzer und Hetzerinnen – und stattdessen Ernstnehmen der auslösenden (System-)Bedingungen, die den Populistinnen und Populisten in die Hände spielen. Dies erfordert allerdings eine Menge Selbstkritik der Regierenden, zu der zumindest eine „Alles richtig gemacht“-Partei nur sehr begrenzt in der Lage sein wird. Dabei wäre es gar nicht so schwierig: Schauen, welche realen Missstände 30 Prozent ÖsterreicherInnen zu RechtswählerInnen machen – und diese tunlichst beheben. Nur das würde Kickl verhindern. 

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor:

Dr. phil., Dr. h. c. Josef Christian Aigner (* 1953) hat in Salzburg (bei Igor A. Caruso) promoviert und ist Psychoanalytiker, Psychotherapeut und Bildungswissenschaftler. Zahlreiche Veröffentlichungen.

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