Unterwegs

Pirouetten des Vergessens

Jeden Dienstag ziehen sie auf der Eisfläche im Moskauer Gorki-Park elegant ihre Runden: Ohne jeglichen Wackler drehen sie Pirouetten des Vergessens.

Da ist der Herr in der roten Jacke mit seinen schwarzen Plastik-Schlittschuhen. Da sind die quasselnden Damen, die eine mit Blümchen-Pulli, die andere mit dunklem Stirnband. Da ist der lange Lulatsch, ganz in Grau, nur seine Eiskunstlaufschuhe sind schwarz. Er hebt seine lange Arme, streckt die langen Beine und dreht sich. Dreht sich so schnell und so lang, dass anderen um ihn herum fast schon schlecht wird.

Auch die Damen hatten als junge Mädchen ein dauerhaft hartes Training hinter sich gebracht, sie sind Wettkämpfe auf dem Eis gelaufen, haben Medaillen gewonnen, wenn auch keine Weltrangabzeichen. Das Eis – der katok, wie die Russen sagen – hat sie nie losgelassen. Der Körper und das Hirn haben die Abläufe so sehr verinnerlicht, dass sie auch noch mit über 70 wie ein Kreisel auf dem Boden herumwirbeln.

Elegant, ohne jeglichen Wackler, während der Herr in Rot ganz angestrengt und beflissen seine Übungen macht, Innenkufe, Außenkufe, auf dem Eis bleibt eine Acht.

Jeden Dienstag sind sie hier im Moskauer Gorki-Park, der Herr in Rot, die quasselnden Damen, der lange Lulatsch. Jeden Winter verwandeln sich die langen Alleen des Parks in eine Eisfläche. Gegenüber der glatt gemachten Uferstraße thront das Verteidigungsministerium. Der Herr in Rot malt seinen Achter ins Eis, der lange Lulatsch tanzt ausgelassen zu sowjetischen Schnulzen, die quasselnden Damen drehen gekonnt ihre Pirouetten. Sie gleiten und vergessen alles um sich herum. Die Kälte, den Wind. Den Krieg.

aussenpolitik@diepresse.com

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