Pop und Film

Kraftwerk-Klänge für Stummfilmklassiker „Dr. Caligari“

Conrad Veidt als Schlafwandler, der versucht, ein schlafendes Mädchen (Lil Dagover) zu berühren: Szene aus dem expressionistischen Meisterwerk „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (1920).
Conrad Veidt als Schlafwandler, der versucht, ein schlafendes Mädchen (Lil Dagover) zu berühren: Szene aus dem expressionistischen Meisterwerk „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (1920).Getty
  • Drucken

Karl Bartos, ehemals Teil der Kultband Kraftwerk, hat den Stummfilmklassiker „Das Cabinet des Dr. Caligari“ neu vertont. Der „Presse“ erklärte er, was er mit dem Film gemacht hat – und was David Bowie daran begeistert hat.

Der Augenblick, in dem Conrad Veidt in seiner Rolle des Somnambulen im 1920 gedrehten, expressionistischen Filmmeisterwerk „Das Cabinet des Dr. Caligari“ zum ersten Mal die Augen aufschlägt, gilt als Urknall der Popkultur. Da ist eine Intensität und Andersweltlichkeit, die extrem modern und zeitlos anmutet. Nicht nur, weil dieser markante Schauspieler mit seinen dick geschminkten Augen und dem bemalten Mund so genderfluid aussieht, wie es seit einigen Jahren in der Musikszene en vogue ist.

Vorbild für „Diamond Dogs“

Diesen stummen Psychothriller liebte auch David Bowie. Das Bühnenbild seiner „Diamond Dogs“-Tour war den artifiziellen Filmbildern nachempfunden. Auch sein letztes Video „Lazarus“ kann man als eine Variation über den von Veidt verkörperten mondsüchtigen Cesare lesen. Jetzt hat Karl Bartos, einst Schlagwerker und Komponist der Band Kraftwerk, dem Stummfilm ein neues Soundkleid verpasst.

Was hat Bowie an diesem Film wohl so angezogen? „Der Topos des bewusstlosen Künstlermenschen, der Dinge tun muss, die er gar nicht versteht“, meint Bartos, der Bowie nie persönlich getroffen hat – anders als seine Kraftwerk-Kollegen Ralf Hütter und Florian Schneider. Mit ihnen teilt er die Liebe für den retrofuturistischen Stummfilm. Fritz Langs „Metropolis“ (1927) spiegelt sich in Artwork und Musik von „Mensch-Maschine“ (1978): ein für Bartos bahnbrechendes Album, weil er darauf erstmals als Komponist angeführt wurde. „Das war längst fällig. Ich habe schon bei ‚Trans-Europa-Express’ einiges beigetragen. Da sagte man mir: ‚Spiel doch mal was!’ Damals wusste ich noch nicht, was Copyright ist. Danach habe ich eine Art Ultimatum gestellt. Damit kam ich offiziell an Bord. Letztlich ist das Copyright das einzige, das als Geldquelle übrigbleibt.“

Maschinenhafte Bewegungen

Zeitlos wie die Musik von Kraftwerk ist auch „Das Cabinet des Dr. Caligari“. Dieser Film, so Bartos, „bringt das expressionistische Weltbild, die Psychoanalyse und die mystische Geisterwelt der Romantik zusammen. Er versucht nicht, die Wirklichkeit zu imitieren, sondern die Welt mit den Augen eines Kindes zu sehen.“ Faszinierend ist die forcierte Künstlichkeit des Films. Dafür waren auch die Darsteller verantwortlich. „Die laufen durch den Film wie Wäschestücke, die man auf links gedreht hat. Durch die maschinenhaften Bewegungen von Conrad Veidt und Werner Krauss wird die Mechanisierung des Lebens spürbar. Das hat mich in eine Art Strudel gerissen.“ Der rhythmische Ansatz von Bartos’ Musik hat somit seinen Ursprung in den Bewegungsschemata der Schauspieler. Der Musikstil ist quasi überzeitlich. „Als ich begriff, dass der Film, der 1920 gedreht wurde, im 19. Jahrhundert spielt und Rückblicke aufs 18. Jahrhundert enthält, kam mir Johann Sebastian Bach in den Sinn. Damit war mir klar, dass ich eine Art Symphonieorchester als verbindendes Element brauchte. Es taucht elektronisch transformiert auf.“

Bartos war explizit an einem narrativen Soundtrack gelegen. „Alle Klänge der erzählten Welt wollte ich hörbar machen, bewusst dokumentarisch arbeiten. An manchen Stellen nahm ich die Geräusche dann wieder weg, weil es der Ästhetik besser tat.“ Man hört rätselhaftes Murren und Raunen der Figuren. „Im Traum hört man Sprache anders. Die Figuren sprechen nicht normal, sondern so wie Ernst Jandl. Und manchmal sogar rückwärts. Die Stimmen folgen dem Code der Musik, sie müssen keinen Sinn produzieren. Was den Film so modern macht, ist ja das Verschwinden der Wirklichkeit.“

„KI ist ein Appell an die niederen Triebe“

Wie geht es Bartos, wenn er aktuelle Musik hört? „Eher unbehaglich. Mit Kraftwerk machten wir eine Musik, in der die Zukunft als Poetik erkennbar war. Doch ab dem Zeitpunkt, wo Computer im Studio standen, passierte etwas, das heute mit der ganzen Gesellschaft geschieht. Die Musik ahmt nicht mehr auf poetische Art die Natur nach und verbindet sie mit den menschlichen Gefühlen, sondern zerschreddert sie und verkauft sie uns zurück.“ Ist mit dem Auftauchen von KI die Zeit der Unschuld endgültig vorbei?„So scheint es. Wir konnten noch wirklich kreativ sein. KI ist ein Appell an die niederen Triebe.“ 

Zur Person

Karl Bartos, geboren 1952 in Marktschellenberg, war von 1975 bis 1991 bei der Band Kraftwerk. Sein jüngstes Soloalbum hieß „Off The Record“ (2013), seine Autobiografie „Der Klang der Maschine“ (2017). Ab 17. Februar spielt er seine Neuvertonung von „Das Cabinet des Dr. Caligari“ live, Wien-Termin ist noch keiner fixiert.
Karl Bartos, geboren 1952 in Marktschellenberg, war von 1975 bis 1991 bei der Band Kraftwerk. Sein jüngstes Soloalbum hieß „Off The Record“ (2013), seine Autobiografie „Der Klang der Maschine“ (2017). Ab 17. Februar spielt er seine Neuvertonung von „Das Cabinet des Dr. Caligari“ live, Wien-Termin ist noch keiner fixiert.Brian Rasic/Getty

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.