Wort der Woche

Eine Theorie des Veganismus

Der Verzicht auf tierische Produkte hat Folgewirkungen für unterschiedlichste Bereiche. Eine umfassende Theorie des Veganismus muss aber erst geschrieben werden.

Dass eine vegetarische oder vegane Ernährungsweise gut für die Umwelt und – bei Beachtung gewisser Regeln – auch für die Gesundheit ist, ist weitestgehend unbestritten. So zeigten erst dieser Tage Forschende um Anne Charlotte Bunge (Stockholm University), dass eine Reduktion tierischer Lebensmittel den Treibhaugasausstoß Schwedens um 30 bis 52 Prozent und den Wasserverbrauch um 14 bis 27 Prozent vermindern würde (Nature Communications, 1. 2.).

Ähnlich positive Studien gibt es sonder Zahl. Vereinzelt tauchen aber auch kritischere Stimmen auf – etwa von einer Gruppe um Isaac Korku Dorgbetor (Uni Zagreb), die Risiken z. B. für die Ernährungssicherheit (im Fall von Pflanzenkrankheiten) oder für Volkswirtschaften – weltweit ist fast eine Milliarde Bauern von der Viehwirtschaft abhängig – herausgearbeitet hat (Agriculture 12, 1518). Solche Betrachtungen machen deutlich, dass ein Ausstieg aus tierischen Produkten Auswirkungen auf unzählige Bereiche unseres Lebens und Wirtschaftens hat. Eine umfassende Darstellung gibt es in der wissenschaftlichen Literatur aber bisher nicht.

Abseits des Wissenschaftsbetriebes hat nun der Schweizer Zukunftsforscher Joël Luc Cachelin eine solche Zusammenschau versucht. In seinem Buch „Veganomics“ (237 S., Hirzel, 29,50 €) schildert er eine Konferenz im fiktiven Staat Karnivoria, der aufgrund der negativen Folgen der Viehwirtschaft einen Umstieg auf pflanzenbasierte Ernährung überlegt und dazu die Erfahrung von vier Nachbarländern, die bereits nutztierfrei sind, analysiert.

Dabei werden vier grundverschiedene Zugänge zum Veganismus beschrieben: „Chlorella“ verschreibt sich gänzlich Pflanzen; „High Tech Islands“ stützt sich auf neue Technologien (etwa Bioreaktor-Fleisch oder urbane Präzisionslandwirtschaft); „Tenebrio“ ersetzt Kühe und Hühner durch Insekten und Muscheln; und „Zirkula“ setzt voll auf Kreislaufwirtschaft (inkl. der Nutzung verendeter Tiere). Angesprochen werden dabei viele Bereiche, die weit über das Ernährungssystem hinausgehen – von neuen Modetrends über soziale Verwerfungen und die Umgestaltung von Konsumgütern bis hin zu Verschiebungen der internationalen Handelsströme.

Cachelins Erzählung ist überaus lesenswert und erhellend. Allerdings ist auch sie noch weit davon entfernt, das Thema umfassend darzustellen und systematisch zu durchdringen. Eine solche Theorie der veganen Transformation wartet weiterhin darauf, durchdacht und niedergeschrieben zu werden.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist nun Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com
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