Quergeschrieben

Wenn Europas inkompetenter Moral­­­-Imperialismus zuschlägt

Während die EU militärisch in der Existenz bedroht sein könnte, arbeitet sie weiter daran, die Welt zu retten – ob die das will oder nicht. Ein absurdes Schauspiel.

Die USA sind weltweit führend in der Entwicklung neuer Technologien wie einst des Internets und heute der künstlichen Intelligenz (KI), die Asiaten sind führend in der effizienten Produktion entsprechender Produkte für Konsumenten rund um den Planeten – und die Europäer sind unangefochten Weltmarktführer im Regulieren, Kontrollieren oder gar Verbieten dieser Dinge. 

Das mag etwas zugespitzt klingen, ist im Kern aber unbestreitbar. Dass Europa beispielsweise zum Technologiesprung KI vor allem ein paar Laufmeter Gesetzgebung beigetragen hat, aber kaum Patente und Technologien, ist Faktum.

Nicht nur deswegen haben die USA ihre europäischen Konkurrenten in den vergangenen Jahren dramatisch abgehängt, was die Wirtschaftsleistung betrifft. Lag die 2008 in der EU (ohne UK) noch knapp vor der der USA, liegen die Amerikaner heute um rund ein Drittel voran – eine eher aussagekräftige Entwicklung. Das Erstaunliche und durchaus Betrübliche daran ist, dass die Staaten Europas, allen voran die Deutschen, wenig bis gar keine Ambition zeigen, diese Entwicklung umzudrehen und wieder zu den USA aufzuschließen – was auch immer dazu nötig ist.

Stattdessen, und das wird ins Auge gehen, investieren sie weiter unverdrossen in ihre Kernkompetenzen Regulieren, Weltverbessern, Moralinsäureproduktion: effiziente Methoden im Kampf gegen den noch verbliebenen Wohlstand und Lebensstandard der Bürger, wie die überzogene Klimapolitik und die damit verbundenen Kosten anschaulich zeigen.

»Europa hat zum Technologiesprung KI vor allem Laufmeter an Gesetzgebung beigetragen. «

Jüngstes Beispiel für diese hypermoralgetriebene Regulierungspolitik: das sogenannte Lieferkettengesetz, eine geplante EU-Norm, die Unternehmen vorschreibt, rund um die Welt nur noch mit Lieferanten und deren Sublieferanten und deren Subsublieferanten zu arbeiten, die ethisch einwandfrei arbeiten und klimapolitisch korrekt produzieren. Damit sollen Kinderarbeit und Raubbau an der Natur verhindert werden.

Vergangene Woche haben Deutschland und Österreich zwar die einschlägigen Beschlüsse in der EU kurz aufgehalten, aber früher oder später kommt das trotzdem. Wir haben es hier wieder einmal, ähnlich wie bei der Errettung des ganzen Planeten vor der Klimakatastrophe, mit einer Mischung aus Anmaßung, Inkompetenz und Zynismus zu tun, die Europa nicht stärkt, sondern schwächt.

Anmaßend ist dieses Lieferkettengesetz, weil es letztlich der ganzen Welt die Vorstellungen der EU darüber, welche sozialen Standards gelten sollen, aufzuzwingen versucht. Es ist dies eine Form des Moral-Imperialismus, die außerhalb der EU zu Recht nicht gern gesehen wird.

Inkompetent ist daran, dass es die erwünschten Wirkungen nicht erzielen wird und gleichzeitig Europas Unternehmen bürokratisch weiter würgt. Wenn sich die aus Ländern mit problematischen Sozialstandards zurückziehen, werden dort etwa Chinesen gern übernehmen, ohne dass deswegen etwa die Kinderarbeit weniger wird.

Zynisch kommt das Ganze schließlich daher, weil etwa ein Land wie Österreich, das noch immer den Großteil seines Gases aus Russland bezieht und dafür Milliarden an das Putin-Regime überweist, mit dieser wirklich zentralen Lieferkette ganz andere Schuld auf sich lädt, als es die Lieferung von ­T-Shirts aus Ländern mit geringem gewerkschaftlichen Organisationsgrad darstellt. Ich will den endlosen Kindergeburtstag, in dem sich die Europäer wähnen, ungern stören. Aber: Europa könnte sich mit ein wenig Pech und Ungeschick in wenigen Jahren in einer existenzbedrohenden geopolitischen Situation finden, gefährlich wie nichts seit 1945 und möglicherweise ohne die militärische Macht der USA an seiner Seite. In dieser Situation nicht alle denkbaren finanziellen, organisatorischen und vor allem mentalen Kräfte zu fokussieren, um diese Gefahr abzuwehren nach dem Prinzip „Was immer es braucht“, und stattdessen unverdrossen die Welt zu verbessern, ob die es will oder nicht, dürfte als weiteres Kapitel in die Serie „Die Torheit der Regierenden“ (Barbara Tuchman) eingehen.

Zum Autor: ­Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien.

Morgen in ­„Quergeschrieben“: Anneliese Rohrer

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