Gastkommentar

Wachsende Entfremdung

Peter Kufner
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Papst Franziskus findet in seinem „Letter to the Jews“ keine klare Sprache, den Terror der Hamas zu verurteilen und erzeugt Unmut.

Neue Wolken überschatten das Verhältnis zwischen katholischer Kirche und Judentum. Der Oberrabbiner von Rom, Riccardo Di Segni, spricht von „großer Enttäuschung“ und sieht nach dem 7. Oktober „Rückschritte“ in den Beziehungen zur katholischen Kirche. Er meint semantische Zweideutigkeiten in den Äußerungen von Papst Franziskus, der seine Sorge um die Lage im Heiligen Land geäußert und für den Frieden gebetet, aber eine klare Verurteilung des Aggressors vermieden hat. Die pontifikale Friedensrhetorik ist dem Rabbiner zu vage.

Dabei ist Papst Franziskus ein Freund der Juden. Als Erzbischof von Buenos Aires hat er ein Gesprächsbuch mit dem Rabbiner Abraham Skorka publiziert, in seinem Schreiben „Evangelii Gaudium“ (2013) die bleibende Würde des Judentums betont und allen eine Absage erteilt, die Israel als überholte Vorstufe der Kirche betrachten.

Unbehagen auf jüdischer Seite hat gleichwohl seit 7/10 die vatikanische Friedensdiplomatie provoziert. Diese bemüht sich in Kriegen um Neutralität, um Verständigungskanäle offenzuhalten. Kann man aber angesichts des Massakers der Hamas neutral bleiben? Macht man sich nicht zum unfreiwilligen Komplizen der Terroristen?

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Jeder Krieg sei eine „Niederlage für die Menschheit“, hat Franziskus betont, er bete für den Frieden, das Leiden der Opfer schmerze ihn. Nicht jeder Krieg sei eine Niederlage, hat ihm der Oberrabbiner von Rom entgegengehalten. Der Krieg gegen Hitler sei ein Sieg der Zivilisation gegen eine menschenverachtende Diktatur gewesen. Auch seien Friedensgebete gut, es komme aber auf den Kontext an. Bei vitaler Bedrohung müsse Israel die Sicherheit seiner Landsleute verteidigen – notfalls auch mit Gewalt.

Ein offener Brief von 400 jüdischen Gelehrten vom 12. November forderte eine klarere Positionierung des Papstes. Das Band der Freundschaft zwischen Katholiken und Juden, das seit dem II. Vatikanum gewachsen sei, begründe die Erwartung politischer Solidarität. Zugleich äußerten die Unterzeichner Verständnis dafür, dass Franziskus an die Leiden der Zivilbevölkerung im Gazastreifen erinnere. Nur wäre es Verschleierung, nicht klar zwischen Angriff und Verteidigung zu unterscheiden.

„Sünde gegen Gott“

Als späte Antwort des Papstes auf das jüdische Schreiben darf der auf den 2. Februar datierte „Letter to the Jews“ betrachtet werden. Darin verurteilt Franziskus Antisemitismus als „Sünde gegen Gott“. Das ist gut. Auch bekräftigt er das Band zwischen Katholiken und Juden und bekundet erneut seinen Schmerz über alle Opfer. Das ist ebenfalls gut.

Nicht ganz so gut ist, dass der Brief eine Reihe von Leerstellen enthält. Franziskus rückt den Krieg zwischen der Hamas und Israel in eine globale Perspektive. „Unglücklicherweise“, so der Papst, „ist auch das Heilige Land in eine Spirale der Gewalt hineingerissen worden.“ Zweifellos, aber die Urheber der Gewalt werden nicht identifiziert. Die Terrororganisation der Hamas bestreitet in ihrer Charta 1988 nicht nur das Existenzrecht Israels, sondern will in einem finalen Kampf alle Juden töten.

Statt das Massaker vom 7. Oktober zu verdammen und schriftlich die Freilassung der Geiseln zu fordern, bemüht sich Franziskus um Ausbalancierung. Dabei hat er auch die Not der palästinensischen Christen im Blick. Sein Brief unterscheidet zwischen „ihr Juden“ und „wir Christen“, was im Blick auf die beiden Religionsgemeinschaften korrekt ist. Eine inklusive Sprache, die Franziskus sonst gern verwendet, wäre, wie Gregor Maria Hoff im Portal communio.de schreibt, stärker gewesen: „Wer Juden angreift, greift auch uns an.“

Übrigens ist kurz nach Veröffentlichung des Briefes das Fünf-Jahr-Jubiläum der Abu-Dhabi-Erklärung zwischen Papst Franziskus und dem Großimam Al-Tayyeb begangen worden. Das Dokument betont die universale Geschwisterlichkeit – und ist ein Meilenstein im Dialog zwischen Kirche und Islam. Dass aber der ägyptische Großimam die Hamas öffentlich unterstützt und damit die Barbarei von 7/10 indirekt legitimiert, blieb beim Jubiläum auffällig unerwähnt. Auch in Kreisen der Befreiungstheologie gibt es Sympathie mit den Palästinensern. Die jüdische Okkupationspolitik verlange Widerstand. Dabei wird das Buch Exodus, das von der Befreiung der Hebräer aus dem Sklavenhaus Ägypten erzählt, subversiv gegen Israel selbst gewendet. Kein Wunder, dass man hier den Hamas-Terror eher verharmlost und die Militäroffensive Israels als „genozidal“ einstuft.

Unbestritten hat der Krieg zwischen der Hamas und Israel eine komplexe Vorgeschichte. Es wäre falsch, hier nicht die politischen Fehler des Staates Israels zu diskutieren, wie dies in der israelischen Öffentlichkeit ja auch geschieht. Unbestritten ist weiter, dass der Papst die Verhältnismäßigkeit der Militäroffensive anfragen und für leidende Zivilisten eintreten kann. Die vatikanische Position ist allerdings kaum noch neutral, wenn Kardinalstaatssekretär Parolin Israel vorwirft, unnötig ein „Blutbad“ in Gaza anzurichten, als gebe es den perfiden Terror der Hamas nicht. Das Massaker an unschuldigen Juden – im Hoheitsgebiet des Staates Israels – verlangt eine klare Sprache. Solang Papst Franziskus diese nicht findet, wird sein Votum für Frieden in der jüdischen Welt resonanzlos verhallen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Privat

Der Autor

Jan-Heiner Tück (*1967 in Emmerich, Deutschland) ist Professor am Institut für Systematische Theologie und Ethik der Universität Wien. Zuletzt erschienen: „Gelobt seist du, Niemand. Paul Celans Dichtung – eine theologische Provokation“, 3. Aufl. 2023 (Herder).

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