Film

Work und Life, ganz ohne Balance

Zwischen zehn Arbeitsaufträgen ist auf der Toilette noch kurz Zeit für ein TikTok-Video: Ilinca Manolache in „Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt“.
Zwischen zehn Arbeitsaufträgen ist auf der Toilette noch kurz Zeit für ein TikTok-Video: Ilinca Manolache in „Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt“.Filmgarten
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Eine Frau hangelt sich in Bukarest von Job zu Job – wenn sie nicht für Uber am Steuer sitzt. Die Satire „Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt“ zeigt eine Arbeitswelt im Wahn.

Ein Tisch reicht nicht. Die hochnäsigen Österreicher wollen das ganze Restaurant für sich. Und dazu ein Streichquartett, das ihnen das üppige Abendmahl mit Schubert und Couperin versüßt. Ob man da nicht was machen könnte? Kein Problem, meint der Maître d’Hôtel. 8000 Euro, und die Sache geht klar. Das irritiert Angela, die sich um die Buchung kümmern muss, nicht: Finanzmittel haben ihre Klienten genug.

Sie hingegen muss jeden Cent zweimal umdrehen – und hat selbst dafür keine Zeit. Ihr Tag besteht aus Arbeit, Arbeit, Arbeit. „Hauptberuflich“ schuftet sie als Faktotum für diverse Filmproduktionen, erledigt, was halt so anfällt, auf Honorarnotenbasis. Nebenher – im Grunde macht sie alles nebenher – laviert die Mittdreißigerin mit einem Uber-Kombiwagen durch die endlosen Staus von Bukarest, chauffiert Hinz und Kunz von A nach B, stopft sich am Steuer Mittagessen rein, spült es hinunter mit Coffee to go. Und nimmt ab und zu, wenn es sich zwischendurch irgendwie ausgeht, ein Video für TikTok auf, in dem sie, versteckt hinter einem billigen Glatzen- und Schnurrbartfilter, lauthals obszöne, misogyne Sprüche klopft. Irgendwie muss man ja Dampf ablassen.

Soweit das narrative Grundgerüst von „Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt“, dem jüngsten Kino-Drahdiwaberl vom rumänischen Vielfilmer Radu Jude. Manche erinnern sich wohl noch an seine vogelwilde Social-Media-Satire „Bad Luck Banging or Loony Porn“, die 2021 bei der pandemisch eingedampften Digital-Berlinale den Goldenen Bären gewann – und nicht zuletzt damit erstaunte, wie schnell Jude eine gewitzte und ziemlich lebensnahe Bestandsaufnahme des Wahnsinns gelungen war, der zur Corona-Hochzeit im (teil-)öffentlichen Diskurs seine Blüten trieb. Sein neuer Film, der 2023 in Locarno mit dem Spezialpreis der Jury bedacht wurde, baut auf demselben Konzept auf.

Dauerfluchende Stressexistenz

Wieder kredenzt Jude eine unreine Mischung aus Fiktion, Dokument und Essay, voller Galgenhumor und desperatem Drive. Nur geht dieses „Ende der Welt“ noch weiter in die Breite (und mit 163 Minuten Laufzeit auch in die Länge): Es zielt ab auf ein umfassendes Sittenbild der Schattenseiten unserer kapitalistisch durchwalteten Arbeitswelt.

Klingt trist? Ist es nicht. Oder zumindest nicht vordergründig. Jude ist weder Sozialdramatiker noch Pamphletist. Er will unterhalten. Und in „Erwarte nicht zu viel . . .“ gelingt ihm das noch besser als in „Bad Luck Banging“, was er vor allem seiner Hauptdarstellerin zu verdanken hat: Ilinca Manolache brettert als barsche, dauerfluchende Stressexistenz Angela mit einer verzweifelten Verve durch den Film, die unablässig mitreißt und etwaige Längen spielend vergessen macht. Angelas ungebärdige Art passt zur rau-ruppigen visuellen Ästhetik des Streifens, der größtenteils auf 16-mm-Film gedreht wurde, in körnigem Schwarz-Weiß – aber punktuell auch in andere, farbige Formate wechselt.

Unter den unzähligen Seitensträngen der ambulanten Filmhandlung schält sich eine als zentral heraus: Angela soll im Auftrag einer österreichischen Firma das Opfer eines Betriebsunfalls casten – für ein internes Video, das die Niedriglöhner in Rumänien auf glaubhafte Art zu mehr Achtsamkeit ermahnen soll, obwohl ihre Arbeitsbedingungen offenkundig suboptimal sind. Im Grunde geht es hier darum, die Verantwortung für etwaige Verletzungen, die mangelhafte Sicherheitsvorkehrungen verursachen können, auf die Belegschaft abzuwälzen. Die imagebewusste deutsche Firmenvertreterin (Nina Hoss) zeigt sich beim Zoom-Call begeistert von der Auswahl: „Eine Zigeunerin, super, das zeigt, dass wir inklusiv sind!“

Dass diese Firmenvertreterin Doris ­Goethe heißt und sich tatsächlich als eine Nachfahrin des Dichters erweist, ist nur eines von vielen absurden Details, mit denen Jude seine im besten Sinn zerfaserte Erzählung spickt. Der 46-jährige Autorenfilmer ist ein kultureller Allesfresser, der sich nicht davor scheut, seine oft gscherten Dialoge mit Aperçus diverser Dichter und Denker anzureichern – oder Szenen aus einem Taxlerinnen-Drama aus der Ceaușescu-Ära in seinen eigenen Film zu montieren. Sogar dessen Titel ist ein Zitat, von der Philosophin Alenka Zupančič.

Doch Judes eigentliches Talent liegt darin, die aufreibende Negativ-Energie spürbar zu machen, die viele Leben voller To-do-Listen, Push-Nachrichten und Abstiegsängste bestimmt. Denn dort ist kein Ende in Sicht.

„Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt“ wird ab Donnerstag in einzelnen heimischen Programmkinos gezeigt, zum Teil auch in Anwesenheit des Regisseurs Radu Jude: Am 22. 2. in Graz (KIZ Royalkino), am 23. 2. in Wien (Gartenbau) und am 25. 2. in Innsbruck (Leokino).

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