Über die beschwerliche Reise einer Studentin von einem aufgezwungenen Ernteeinsatz in Kasachstan nach Leningrad erzählt Vladimir Vertlib in „Die Heimreise“. Eine Vorgeschichte zum Putinismus.
Unter Menschen, die ihr ganzes Leben lang offen ihre Meinung sagen und alles, was sie unbedingt brauchen, für Geld einkaufen konnten, fühle ich mich manchmal fremd. Die zwei Jahre, die ich in der Sowjetunion gelebt und gearbeitet habe, haben meine Weltwahrnehmung und mein Lebensgefühl verändert. Im April 1986, als der Reaktorunfall in Tschernobyl passierte, lebte ich in Vilnius, nur 500 Kilometer Luftlinie davon entfernt – und meine Tochter war gerade ein Monat alt. Es gab keinerlei Information, nur geheimnisvolles Gemunkel, und zwei Tage lang konnte ich nicht einmal die österreichische Botschaft erreichen, dafür hatte das Sowjetsystem gesorgt. Wenn ich in Vladimir Vertlibs neuem Roman „Die Heimreise“ von der Verstrahlung durch die Atomwaffentests in den 1950er-Jahren in Kasachstan und der darauffolgenden gezielten Desinformation lese, kommen meine Erfahrungen wieder zurück. „Die Heimreise“ legt eine erzählerische Schneise durch die späte Stalinzeit und die Jahre danach – entscheidende Jahre jener Diktatur, die ich drei Jahrzehnte später noch erleben konnte.