Buch der Woche

Valerie Fritsch hat einen Roman über eine grausame Form der Mutterliebe geschrieben

Zumeist hält sich Valerie Fritsch vom Manierismus fern.
Zumeist hält sich Valerie Fritsch vom Manierismus fern. Foto: oxyblau/Suhrkamp Verlag
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Eine Mutter vergiftet ihren Sohn, um ihn aufopfernd pflegen zu können. In Valerie Fritschs Roman „Zitronen“ stehen die Macht der Lüge, die Last der Mitwisserschaft und die Transfor­mation von Gewalterfahrung in Gewaltausübung im Mittelpunkt.

Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn“, lautet der berühmte Anfang von Goethes „Mignon“. Dem Protagonisten von Valerie Fritschs neuem Roman ist es vergönnt, das Land kennenzulernen, doch seine italienische Reise ist bloß eine Episode der Aufhellung und des „guten Lebens“ in einem freudlos-düsteren Dasein. Ob die Autorin mit dem zart gemalten Zitronenmotiv bewusst auf das Gedicht angespielt hat? Die dritte Strophe nennt „der Drachen alte Brut“, und der Held des Romans heißt August Drach.

Ein Kippbild aus Schutz und Bedrohung

Die zweite dreht sich um die Frage „Was hat man dir, du armes Kind, getan?“. August wird von Vater und Mutter misshandelt, der Vater prügelt ihn, die Mutter tröstet ihn zunächst mit überschießender Zärtlichkeit: „Die Eltern waren ein Kippbild aus Schutz und Bedrohung, ein janusköpfiges Wesen, das einen erst mit kaltem, dann mit mitleidigem Gesicht ansah.“

Die Mutter ist eine, die ihre Apfel- und Zitronenbäume bald hätschelt, bald verkümmern lässt, eine, die „so gern besonders sein wollte, dass sie gar nicht bemerkte, dass die Leute sie bloß eigenartig fanden“. Als der ­Vater eines Tages Familie und Dorf auf Nimmerwiedersehen verlässt, wandelt die Mutter ihre Zuwendung in aufopfernde Krankenpflege: Der kränkelnde Bub, der sich nicht erholen will, reißt sie aus ihrer Lethargie, und alle bewundern sie für ihre Fürsorge und ­Geduld.

Mutter verabreicht Schimmel und Asbest

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