Replik

Gute Nachrede für Dollfuß?

Engelbert Dollfuß, ca. 1933.
Engelbert Dollfuß, ca. 1933. Scherl/Picturedesk.
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Mit seinem Imitationsfaschismus hat sich Dollfuß schlicht verspekuliert. Er hat damit aber weder ein Museum noch eine besonders gute Nachrede verdient.

Alle zehn Jahre, wenn zu einem runden Jubiläum wieder einmal der Ereignisse vom Februar 1934 gedacht wird, setzt es dringliche Aufforderungen: Nun wäre es doch hoch an der Zeit, sich auf eine gemeinsame Erzählung zu einigen, heißt es da. Das müsse man natürlich „ohne parteipolitische Brille“ tun, mahnte vergangene Woche der nunmehrige Chefredakteur des „Kurier“. In der „Presse“ setzte ein Gastkommentator noch eins drauf und nannte es implizit einen „antifaschistischen Karneval“ (Copyright Rudolf Burger), wenn heute jemand die Dollfuß/Schuschnigg-Jahre „Austrofaschismus“ nenne.

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Zu diesem Thema existiert eine gemeinsame Erzählung der Mehrzahl der Zeithistoriker allerdings längst, und „Austrofaschismus“ haben die Austrofaschisten ihr System selbst genannt, etwa Heimwehrführer Ernst Rüdiger Starhemberg bei einer internationalen Pressekonferenz am 27. Februar 1934: „Bewußt habe ich den Begriff Austrofascismus geprägt“; man wolle nun „dem modernen Zukunftsgedanken des fascistischen Italien folgen“.

Zur Erinnerung einige unbestreitbare Tatsachen:

1. Nein, das Parlament hat sich im März 1933 nicht „selbst aufgelöst“ – es war ein Staatsstreich der Regierung Dollfuß. Justizminister Kurt Schuschnigg (Christlichsoziale) hatte intern schon 1932 die Zerschlagung des Nationalrats angeregt, wo die Sozialdemokraten die relative Mehrheit hatten. Sie waren 1930 mit 41 Prozent stärkste Partei geworden.

2. Nein, mit „Zukunftsgedanken“ hatte Dollfuß nichts im Sinn. Den Ursprung allen Übels sah er in der Französischen Revolution, diese habe „die harmonische Ordnung aus dem Gleichgewicht gebracht“. Dollfuß wollte den Staat „wie einen großen Bauernhof“ führen, in dem jeder seinen Platz hat: der Herr am oberen, der Knecht am unteren Ende des Tischs. Sein politisches Credo verkündete er bei seiner Rede am Katholikentag im September 1933: „Die Zeit liberaler Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung ist vorüber. (…) Die Zeit der Parteienherrschaft ist vorbei.“ Fünf Monate später ließ er politische Gegner hinrichten.

3. Nein, die Auflösung des Parlaments war keine Widerstandsmaßnahme gegen den Nationalsozialismus. Im Nationalrat hatte die NSDAP kein einziges Mandat, weil sie bei den Wahlen 1930 nur auf drei Prozent gekommen war. Für die Christlichsozialen war dennoch Feuer am Dach: Bei den Landtagswahlen des Jahres 1932 hatte die NSDAP auf ihre Kosten dazugewonnen. In Wien (NS: 17 Prozent) schnitten die Nazis am besten in den bürgerlichen Bezirken Wieden, Währing und Josefstadt ab, am schlechtesten in den Arbeiterbezirken Favoriten und Simmering. Und 1934 standen Nationalratswahlen an.

4. Nein, das Dollfuß-Regime war kein grundsätzlicher Gegner von NS-Ideen. Am Tag nach der Bücherverbrennung in Deutschland im Mai 1933, bei der auch Werke von Stefan Zweig, Arthur Schnitzler, Sigmund Freud, Joseph Roth und Franz Werfel ins Feuer geworfen wurden, applaudierte Dollfuß’ Parteizeitung „Reichspost“: „Der Aufstieg eines jeden Volkes kann nur erfolgen, wenn der Volksorganismus eine weitgehende Entgiftung von den Bazillenträgern der Pseudokunst erfährt. (…) Die Führung bei diesem Kulturverderb liegt in den Händen fremdrassiger Elemente.“ Dollfuß wollte den Nationalsozialismus „überhitlern“: „Die braune Welle können wir nur auffangen, wenn wir das, was die Nazis in Deutschland versprechen und auch schon getan haben, selber machen, was ohnehin gemildert wird bei uns.“

Mit seinem Imitationsfaschismus hat sich Dollfuß verspekuliert. Er hat damit weder Museum noch besonders gute Nachrede verdient.

Herbert Lackner war 23 Jahre lang Chefredakteur des Nachrichtenmagazins „Profil“ und ist Autor zeithistorischer Bücher.

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