Nahost

Israels Armeesprecher: „Hätte es im Jahr 1944 Social Media gegeben, hätten die Nazis gewonnen“

Arye Shalicar, Sprecher der israelischen Armee, links neben Markus Söder. Das Bild stammt aus Dezember 2023.
Arye Shalicar, Sprecher der israelischen Armee, links neben Markus Söder. Das Bild stammt aus Dezember 2023.Imago / Joerg Koch / Bayerische Staatskanzlei
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Auch beim Vormarsch der Alliierten gegen Nazi-Deutschland habe es zivile Opfer gegeben, argumentiert Armeesprecher Arye Shalicar.

Die israelische Armee hat wenig Verständnis für die Vorwürfe, die man ihr im Zusammenhang mit dem Schutz der Zivilbevölkerung im Gazastreifen macht. „Im Zweiten Weltkrieg hätten die Deutschen gewonnen, wenn man so gedacht hätte“, kritisierte der israelische Armeesprecher Arye Shalicar im Gespräch mit österreichischen Journalisten die „Besessenheit mit der zivilen Bevölkerung“. „Hätte es im Jahr 1944 Social Media gegeben, hätten die Nazis gewonnen.“

Schließlich habe es auch beim Vormarsch der Alliierten gegen Nazi-Deutschland zivile Opfer gegeben, argumentierte der gebürtige Deutsche. Im Krieg Israels gegen die Hamas lege man aber den Fokus nicht auf die Ursache (den Terror), sondern die Wirkung. Der Iran als „Kopf der Schlange“ sei in den vergangenen Jahren „sehr erfolgreich“ darin gewesen, über verschiedene schiitische Milizen und sunnitische Terrororganisationen die Instabilität in der Region zu fördern, weil es ihm gelungen sei, „in eine Underdog-Position zu kommen“. In Wirklichkeit sei es aber Israel, das alleine gegen mehrere Akteure kämpfen müsse.

„Der Iran dirigiert die Region“, sagte Shalicar, der persisch-jüdischer Herkunft ist und auch den Social-Media-Auftritt der israelischen Armee in Farsi betreut. Er bezeichnete das Mullah-Regime als „Trainingslager für die ganzen Milizen und Verbände in der Region“. Dies sehe man auch an ähnlichen Vorgangsweisen, wie etwa dem Tunnelbau, der nach dem Gazastreifen und dem Libanon nun auch im Westjordanland beginne.

Libanon „wie ein Schneeball“

Besorgt zeigte sich Shalicar über die Entwicklung im nördlichen Nachbarland Libanon. Seit dem 7. Oktober habe sich die Intensität der Feindseligkeiten mit der Schiitenmiliz Hisbollah sukzessive gesteigert. „Das ist wie ein Schneeball, der zunächst langsam rollt und mittlerweile schnell“, sagte der israelische Armeesprecher. Sorge macht Israel vor allem das große Raketenarsenal der Hisbollah. Mit 150.000 Raketen sei es zehn Mal so groß wie jenes der Hamas, und die Geschoße hätten auch bezüglich Präzision und Sprengkraft „ein ganz anderes Level“.

Genau beobachtet Israel auch die Lage in Jordanien, über das der Iran versuchen könnte, eine Landbrücke zum Westjordanland einzurichten. Auf eine entsprechende Frage der APA betonte Shalicar, dass Israel seine längste Landgrenze mit Jordanien habe und sie auch entsprechend schütze. Ein Eingreifen im Nachbarland komme aber nicht infrage, weil Israel die diplomatischen Beziehungen zu Amman „heilig“ seien. Auch seien Armee und Geheimdienste in Jordanien „stark“.

Im Konflikt mit der Hamas sei Israel bestrebt, „keine halben Sachen“ zu machen, so Shalicar. Wenn man den Terrorismus besiege, würden sich die Menschen von ihm wegbewegen, lautet das Kalkül. Es müsse verhindert werden, dass die Hamas einen Waffenstillstand wie mehrmals in der Vergangenheit „mit Siegesparaden“ feiere und Fünfjährige mit Plastikgewehren aufmarschieren lasse.

Die Hamas könne den Krieg beenden, wenn sie „die Geiseln raushauen und kapitulieren“, betonte Armeesprecher. In diesem Fall könnten die Hamas-Führer möglicherweise auch ihre eigene Haut retten, wenn sie etwa Ägypten aufnimmt. Israel würde zu einer solchen Lösung wohl ja sagen.

„Wenn Ort zu 50 Prozent zerstört ist, war er zu 50 Prozent infiltriert“

Eindrücklich schilderte Shalicar die enge Verwobenheit von Zivilbevölkerung und Hamas-Regime im Gazastreifen. So hätten sich am Terroranschlag des 7. Oktober auch Zivilisten beteiligt. In einem Ort im südlichen Gazastreifen seien buchstäblich in jedem Haus Gegenstände aus einem damals geplünderten Kibbuz gefunden worden. Die Hamas benutze nicht nur Kindergärten oder Spitäler, sondern auch einzelne Zimmer in Wohnungen als Waffenlager, Beobachtungspunkte oder Raketenabschussrampen. Das sei der Grund für die vielen Zerstörungen durch die israelischen Militäraktionen. „Wenn ein Ort zu 50 Prozent zerstört ist, heißt das, dass er zu 50 Prozent (von den Terroristen, Anm.) infiltriert war“, sagte der Sprecher. Bei Terrorhochburgen wie Jabalya seien eben 80 Prozent der Gebäude zerstört worden. „Wir kämpfen dort gegen die Terroristen, wo sie sind“, betonte Shalicar, der die Anzahl der bisher getöteten Terroristen mit 13.000 angab.

Shalicar bekräftigte, dass Israel nicht dauerhaft im Gazastreifen bleiben möchte und auch die jüngst errichtete Barriere zwischen dem Nord- und Südteil des Küstengebiets nur taktischer Natur sei. Auch werde man vor der Militäroperation in Rafah die dortige Zivilbevölkerung warnen. Zwar nütze dies auch den dort versteckten Terroristen, aber „die Terrorinfrastruktur ist uns wichtiger als die Terroristen selbst“, so Shalicar.

Kein Geheimnis sei auch, dass sich in Rafah wohl die meisten verschleppten Geiseln aufhalten. Ihre Befreiung sei von zentraler Bedeutung. „In Israel wird es kein normales Leben geben können, ohne dass wir die Geiselsituation bis zur letzten regeln“, betonte Shalicar. Er zog diesbezüglich einen Vergleich zum in den Gazastreifen verschleppten Soldaten Gilad Shalit, dessen Schicksal Israel mehr als fünf Jahre in Atem gehalten hatte. Im Tausch für ihn ließ Israel im Jahr 2011 mehr als 1.000 Häftlinge frei, darunter auch den späteren Hamas-Chef Yahya Sinwar, das Mastermind der barbarischen Terrorattacke vom 7. Oktober. (APA)

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