Gastkommentar

Demokratien unter Druck

Peter Kufner
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Aufsichts- und Kontrollinstanzen sind das Immunsystem einer Demokratie. Ihr Entfall begünstigt die Infektion des Staatswesens.

Das Recht geht in unserer Republik vom Volk aus. So will es unsere Verfassung. Vertreterinnen und Vertreter des Volkes, durch Wahlen ermittelt, entwickeln dieses Recht in gesetzgebenden Körperschaften weiter. Das ist der eine Teil der Geschichte in einer liberalen Demokratie. Der andere Teil umfasst Mechanismen zur „Kontrolle und Ausgewogenheit“ und sorgt dafür, dass diese Weiterentwicklung im Einklang mit der Verfassung geschieht. Parlamentarische Kontrollinstanzen, Gerichte, Kommissionen und – im weiteren Sinne – auch Medien und andere Teile der Zivilgesellschaft, und nicht zuletzt: das Staatsoberhaupt. Sie alle schauen den Machthabenden auf die Finger, mahnen Korrekturen ein oder (wie etwa der VfGH) korrigieren kraft ihres Mandats gar selbst.

Ist das Netz einmal zerrissen

Autokratische Regime haben sich dieser Institutionen entweder entledigt oder sie auf Linie gebracht, sodass von ihnen keine Kritik mehr zu erwarten ist. Das kann natürlich demokratisch legitimiert erfolgen, wenn die Machthabenden über eine so große Mehrheit verfügen, dass diese zur Änderung der Verfassung befähigt. Unter diesen Umständen kann dann tatsächlich das „Recht der Politik folgen“ und die Bahn ist grundsätzlich frei für die Ausgestaltung einer „illiberalen Demokratie“.  Natürlich kann das Wahlvolk reagieren und die verfassungsgebende Mehrheit bei einer nächsten Wahl entziehen oder einen Machtwechsel herbeiführen. Wie schwierig es jedoch für die neuen Regierenden ist, ihre Linie gegenüber den „Kontrollinstanzen“ durchzusetzen, die ja vom Vorgängerregime willfährig gemacht wurden, kann man heute am Beispiel Polens beobachten.

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Die Mitgliedstaaten der EU haben ein weiteres Sicherheitsnetz gespannt, um ihre Demokratien abzusichern: Zu den innerstaatlichen „Checks and Balances“ kommen jene der Union hinzu – man denke an die Europäische Kommission, Rat, Parlament etc. Drohen die innerstaatlichen Netze eines Mitgliedstaates zu reißen, bleibt (nur mehr) das europäische Bollwerk, um der Schaffung einer „postdemokratischen Gesellschaft“ Einhalt zu gebieten. Eine intakte Trennung der Gewalten von Rechtssetzung, Rechtsprechung und Rechtsumsetzung ist deshalb Bedingung für die Teilhabe an der EU (also auch für die Inanspruchnahme von Finanzmitteln).

Lästige Störenfriede

Für Nationalpopulisten sind die „Schutzengel“ der liberalen Demokratie natürliche Feindbilder. Hat der Souverän diese Kräfte einmal mit einer Stimmenmehrheit ausgestattet, so hat gefälligst zu geschehen, was die Repräsentanten dieser Mehrheit entscheiden. Greifen Mechanismen der „Checks and Balances“ korrigierend ein, ist es stets das abgewählte „Establishment“, gestützt von den „Systemmedien“, welche die neuen Machthaber an der segensreichen Verwirklichung ihrer Versprechungen hindern.

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, jüngste Entwicklungen in Spanien oder Frankreich näher zu beleuchten. Just am Widerstand der Separatisten, die die Regierung von Premier Sanchez stützen, scheiterte das Amnestiegesetz, dessen Realisierung Bedingung für diese Unterstützung war. Nicht weit genug gingen die Garantien für Straffreiheit. Eine wasserdichte Vorlage muss her, die sicherstellt, dass da nicht irgendeine Instanz einen Tatbestand zutage fördern könnte, der rechtliche Konsequenzen nach sich zöge. Eine völlige Knebelung aller relevanten Akteure wird von den Separatisten verlangt. Unklar ist, welche Seite Interesse an dieser Eskalation hat. Die Separatisten (in durchaus regem Austausch mit Putin stehend), um die spanische Demokratie zu schwächen, oder gar Sanchez selbst, um zu zeigen, dass mit ihnen eben „kein Staat zu machen ist“?

Ganz anders die Lage in Frankreich, wo das Verfassungsgericht just jene Elemente eines von der Regierung Präsident Macrons vorgelegten Einwanderungsgesetzes aufhob, die von den Rechtspopulisten um Marine Le Pen zur Verschärfung hinein reklamiert wurden, was Matthias Krupa treffend in der „Zeit“ kommentiert: „Der Präsident spielt mit den Institutionen. Erst hat er von den Abgeordneten ein Gesetz verabschieden lassen, das er selbst nicht für verfassungsgemäß hielt. Dann hat er den Verfassungsrat benutzt, um die Opposition und damit de facto das Parlament auszuhebeln. Ausgerechnet der Präsident spielt damit jenen in die Hände, die den Rechtsstaat und das Wirken der Richter (…) ohnehin mit Argwohn sehen. Schon ruft Marine Le Pen nach einer Verfassungsreform und einem Referendum.“

Aufsichts- und Kontrollinstanzen sind das Immunsystem einer Demokratie. Ihr Entfall begünstigt die Infektion des Staatswesens mit Korruption und Machtmissbrauch. Ihren Entscheidungen mit Respekt zu begegnen ist ein Zeichen der Reife und sollte von sorgfältiger Kommunikation („was wurde warum entschieden – wie gehen wir damit um“) begleitet werden. Werden Pläne der Machthabenden von den Kontrollinstanzen kritisiert oder gar durchkreuzt, ist die Versuchung groß, diesen Entscheidungen Mängel zu unterstellen. Eine reflexartige ablehnende Reaktion untergräbt das Vertrauen gegenüber diesem Gefüge mindestens ebenso wie das gezielte Instrumentalisieren oder gar das Missbrauchen einzelner Stellen und Verfahren für politische Zwecke.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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Der Autor

Dr. Thomas Jakl ist Biologe und Erd­wissenschaftler. Er arbeitete bis 1991 an der Uni Wien, wechselte dann ins Umweltministerium. Er bekleidet national und auf EU-Ebene Führungspositionen im Umweltsektor.

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