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Serie „Shōgun“: Die Mär vom zivilisierten Europäer im erbärmlichen Japan

Eine hochintelligente Frau, die ihre Pläne nicht offenbart: Toda Mariko (Anna Sawai) spielt eine wichtige Rolle.
Eine hochintelligente Frau, die ihre Pläne nicht offenbart: Toda Mariko (Anna Sawai) spielt eine wichtige Rolle.Kurt Iswarienko/FX
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Ehre, Tod und Liebe im Japan um 1600: Schon in den 80er Jahren begeisterte die Geschichte um einen Engländer unter Samurai. Die neue Fassung auf Disney + zeigt in großartigen Bildern, wovon wir wenig wissen. Den Mann dahinter gab es wirklich.

Oft sorgen Remakes für einige Aufregung im Vorfeld – und Enttäuschung im Abgang. Ganz anders im Fall der Serie „Shōgun“, die in der Vorwoche nahezu ohne Getöse auf Disney+ erschien und für Begeisterung sorgt. Ein „wahres Meisterwerk“ wird sie genannt („Time Magazine“), oder jetzt schon die „Serie des Jahres“ („TAZ“). Tatsächlich überzeugt die Geschichte um politische Ränkespiele im zerrissenen Japan um 1600 mit düsterer Bildgewalt und kluger Komplexität. Und sie verlangt dem Zuseher ziemlich viel Konzentration ab.

Das beginnt schon bei der Sprache. Den Großteil der Dialoge hört man auf Japanisch, sie werden lediglich in Untertiteln übersetzt. Anspruchsvoll, wenn man keine Geste, keinen Blick übersehen will. Übrigens hörte man bereits in der sehr erfolgreichen, 1980 erschienenen Serie „Shōgun“ (mit Richard Chamberlain) viel Japanisch, damals gab es aber keine Untertitel. Der Gedanke dahinter: Was der Held der Serie nicht versteht, müssen auch die Zuseher nicht verstehen.

Seltsame Hüte und Kappen

Nun erfährt man also weit mehr als nur das, was Steuermann Jack Blackthorne sieht. Die Serie stützt sich nicht auf die Beobachtung eines europäischen Helden, sie malt das Tableau eines Landes und einer Gesellschaft aus verschiedenen Perspektiven. Das ist faszinierend in jedem Detail: von den äußerst seltsamen Kappen und Strohhüten der Elite bis zur grauenerregenden Sitte des rituellen Selbstmords.

In diesem Land strandet Blackthorne (Cosmo Jarvis). Der Kapitän seines abgetakelten Schiffs hat sich erschossen, er als Navigator das Kommando übernommen. Doch über wen? Die wenigen Lebenden an Bord sind kaum von Toten zu unterscheiden. Die japanischen Soldaten vor Ort betrachten sie mit Ekel. Blackthorne setzt trotzdem auf kulturelle Überlegenheit, als er festgenommen wird. Brüllend und raufend will er zu seinem Recht als Gast kommen in diesem „erbärmlichen Land“, dessen Regeln er nicht versteht.

Wer sind hier die Barbaren? Die Serie spielt immer wieder mit dieser Frage. „Wenn du deine Augen auf Osaka richtest“, sagt ihm ein Portugiese auf dem Weg dorthin, „dann sag mir doch, ob unsere Welt wirklich das Zentrum der Zivilisation ist.“ Die japanische Ordnung, sie sticht ins Auge. Die Häuser, die Soldaten. Jeder Handgriff vermittelt Perfektion, selbst das Schließen der papiernen Türen. Und jede Geste vermittelt Kontrolle, selbst der (ständige) Griff zum Schwert.

Dass Blackthorne Osaka überhaupt zu sehen bekommt, liegt an der politischen Intrige, die im Gange ist. Fünf Männer führen stellvertretend für einen kindlichen Herrscher das Land. Sie sind in unterschiedlichem Maß gierig, gläubig, ehrenhaft. Einer von ihnen, Yoshii Toranaga (großartig: Hiroyuki Sanada), wird durch seine Konkurrenten isoliert. In Osaka soll über sein Schicksal abgestimmt werden. Doch durch kluge Schachzüge kann er das machiavellistische Spiel durchkreuzen: Mithilfe von Blackthorne nutzt er Handel und Religion, um die anderen zu entzweien.

Die Portugiesen haben nämlich ein Handelsmonopol aufgebaut, das nicht nur Güter, sondern auch den Katholizismus nach Japan bringt. Und so sieht man Samurai, die aus dem einen Grund (Lepra) oder dem anderen (Geld) Kreuze um ihren Hals tragen. Auch die ebenso schöne wie unglückliche Toda Mariko (Anna Sawai) ist konvertiert. Sie, die viele Jahre Portugiesisch lernte (die lingua franca in der Serie), wird zur Übersetzerin für die Gespräche mit Blackthorne. Woraus sich eine Liebesgeschichte entwickelt.

“SHŌGUN” --  Pictured: Cosmo Jarvis as John Blackthorne.  CR: Kurt Iswarienko/FX
“SHŌGUN” -- Pictured: Cosmo Jarvis as John Blackthorne. CR: Kurt Iswarienko/FX

Krieg und Pflicht, Ehre, Intrige und Liebe: Das Epos bietet die ganze Palette, aber immer bleibt etwas im Dunklen. Auch bildlich in nebligen Passagen, düsterer Natur, halbdunklen Räumen. Man möchte das Licht heller drehen. Und ist dann doch wieder froh, dass nichts grell ausgeleuchtet wird, denn die Serie ist auch explizit brutal. Ein Messer wird oft schneller angesetzt, als man verwundert blinzeln kann. Geht einer gerade noch den Weg entlang, kann dort im nächsten Moment schon sein Kopf rollen.

Die Geschichte hinter „Shōgun“

„Shōgun“ ist übrigens ein Militärtitel. Der ultimative Rang für einen Mann, der über allen steht. „Shōgun“ ist auch der Titel des mehr als 1000 Seiten starken Romans von James Clavell, der der Serie zugrunde liegt. Erschienen ist der Bestseller bereits 1975. Wie kam der britisch-amerikanische Autor auf die Geschichte des englischen Steuermanns? Durch einen Satz im Schulbuch seiner Tochter. „Im Jahre 1600 ging ein Engländer nach Japan und wurde dort ein Samurai“, soll da gestanden haben. Es gab ihn wirklich, den englischen Navigator, sein Name war William Adams, mittlerweile gibt es einige Bücher über ihn.

Seine Lebensgeschichte ist in der Serie freilich weiter gesponnen. Auch die politische Handlung basiert auf tatsächlichen Begebenheiten, viele Figuren haben historische Entsprechungen oder Ähnlichkeiten – darunter auch die Übersetzerin Mariko. Die Portugiesen, die über den Handel auch Macht erlangen wollten und diese über konvertierte Japaner ausübten: All das gab es wirklich.

Mehr als ein Jahrzehnt Arbeit ließ der US-Sender FX in die Serie fließen – und viel Geld. Wobei man auch besonderen Wert auf die Details der Umsetzung legte, die der Geschichte Leben einhauchen. Der Kriegsschrei der Samurai etwa. Die Art, wie sie ihr Haar trugen. Es hat sich jedenfalls gelohnt.

„Shōgun“ ist auf Disney+ zu streamen. Drei der zehn rund einstündigen Folgen sind bisher abrufbar.

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