Gastkommentar

Wer braucht so einen Betriebsrat?

Es gäbe viel zu tun für einen Betriebsrat im ORF. Aber in jüngster Zeit tut er nicht genug.

Mitte Februar wurde in Teilen des ORF ein neuer Betriebsrat gewählt. Weder Wahlergebnis noch -beteiligung von fast 80 Prozent brachten einen Denkzettel für einen Betriebsrat, der wiederholt bei Lohnverhandlungen eingeknickt ist und sich beharrlich den tatsächlichen Problemen im größten Medienkonzern des Landes verweigert.

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Zur Erinnerung: Bei den Lohnverhandlungen für das Jahr 2023 einigte man sich auf eine Steigerung um insgesamt 4,5 Prozent in zwei Schritten: Mit 1. Jänner 2023 gab’s 2,1 Prozent und mit 1. Jänner 2024 weitere 2,4 Prozent Lohnzuwachs. Dazu kamen Einmalzahlungen, die von Gewerkschaftsvertretern normalerweise als „Voodoo-Mathematik“ und in ORF-Interviews auch schon mal klar abgelehnt wurden. Bei den Lohnverhandlungen für 2024 kurz vor Weihnachten hat man sich dann auf eine Valorisierung der Gehälter und Honorare für 2024 um 4,6 Prozent verständigt, dazu gibt es eine „Teuerungsprämie“ zwischen 800 und 1250 Euro. Im Gegenzug werden automatische Gehaltsvorrückungen um weitere eineinhalb Jahre verschoben und Pensionsbeiträge gekürzt.

Damit bleibt der ORF-Abschluss zum zweiten Mal hinter allen bisherigen in Österreich. Während andere Lohnverhandler klare Abschlüsse zur Inflationsabgeltung erzielten, sprach der ORF-Betriebsrat in einer Mitteilung an die MitarbeiterInnen von einem „schmerzlichen, gerade noch vertretbaren Kompromiss“, dem man „schweren Herzens“ zugestimmt habe. Man habe höhere Mindesterwartungen gehabt, diese wurden nicht erfüllt.

Arbeitsrechtliche Bombe

Aber nicht nur bei den jüngsten beiden Lohnabschüssen – die eigentlich die Zustimmung zu faktischen Lohnkürzungen waren –, sondern auch in anderen Bereichen scheint der ORF-Betriebsrat eher wenig engagiert. Die anhaltende Ungleichbehandlung durch parallel existierende unterschiedliche Kollektivverträge führt etwa dazu, dass unterschiedlicher Lohn für die absolut gleiche Tätigkeit bezahlt wird. Diese angesichts aktueller EuGH-Entscheidungen tickende arbeitsrechtliche Zeitbombe wird nicht einmal ignoriert. Die Tatsache, dass Mitarbeiterinnen überwiegend immer noch nur Teilzeitverträge angeboten werden, wo hingegen Männern tendenziell eher nur Vollzeitstellen angeboten werden, führt zu keinem Aufschrei des Betriebsrats. Auch das Thema prekärer Vertragsverhältnisse von jungen ORF-JournalistInnen harrt einer Lösung. Rund um die Bestellung des neuen ORF-Generaldirektors Weißmann wurde etwa bekannt, dass die Honorarstruktur bei Ö1 nur ein Leben am und unter dem Existenzminimum erlaubt und MitarbeiterInnen jahrelang von einer Karenzstelle zur anderen geschoben werden.

Es gäbe viel zu tun für einen Betriebsrat im ORF. Und manchmal tut er auch etwas. So wie im Fall des neuen ORF-Gesetzes und der darin vorgesehenen Lohntransparenzvorschriften. Da zog man umgehend zu den Höchstgerichten, um jene Bestimmung anzufechten, die die namentliche Nennung all jener MitarbeiterInnen vorsieht, die mehr als 170.000 Euro jährlich verdienen. Die angeblichen Persönlichkeitsrechte eines „Ö3 Wecker“-Moderators mit beachtlichen 450.000 Euro Jahresgage wiegen in den Augen des Betriebsrats nämlich mehr als die Sorgen einer Ö1-Mitarbeiterin, die sich mit ihrem Gehalt die Miete nicht mehr leisten kann. Da stellt sich dann doch manchmal die Frage: Wer braucht eigentlich so einen Betriebsrat?

Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und internationale Beziehungen. Nach EU- und Schengen-Koordinierung im Innenministerium und langjähriger Tätigkeit im EU-Ministerrat in Brüssel aktuell tätig in Lehre und Forschung sowie als politischer Berater und Gutachter.

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