Gastkommentar

Wo die Gemeinde Wien auf das falsche Pferd setzt

(c) Peter Kufner
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Das AKH und das MUW werden durch die Schließung des Lorenz Böhler stark belastet. Von Treppenwitzen und anderen Schieflagen.

Im aktuellen Konflikt um die Schließung des Lorenz-Böhler-Krankenhauses durch die AUVA sollte sich der Wiener Gesundheitsverbund (Wigev) schützend vor die Medizinische Universität Wien (MUW) stellen, statt sie zu belasten: Es ist geplant, dass das AKH, das mit der MUW eine untrennbare Einheit bildet, einen beträchtlichen Teil der offenen Operationen übernehmen soll. Dieser Plan wurde der MUW erst zeitgleich mit der Veröffentlichung zur Kenntnis gebracht. Stadtrat Peter Hacker begründete die verspätete Info mit dem Hinweis, dass diese zusätzliche Arbeit die MUW nicht betreffen würde, es sei nur das AKH zuständig. Eine freie Station und nicht benötigte OP-Säle würden verwendet.

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Was heißt das in der Praxis? Wechseln die kompletten medizinischen und pflegerischen Teams aus dem Lorenz-Böhler-Spital ins AKH? Welche ÄrztInnen werden die Radiologie und die Laborleistungen für die OPs der Lorenz-Böhler-PatientInnen erbringen? Werden auch diese Einheiten von der AUVA transferiert? Als dienstrechtlich für die Ärzteschaft im AKH zuständige Instanz kann die MUW für die Ärzte des Lorenz-Böhler-Spitals keine Vorgesetztenfunktion wahrnehmen. Auch der Personalvertreter des Lorenz-Böhler-Spitals, Dr. Brenner, betont: ÄrztInnen der AUVA können im AKH nicht operieren, das wäre Rechtsbruch.

Erhebliche Qualitätsmängel

Diese offenkundig schlecht geplante Problemlösung ist nicht die einzige Missachtung der besonderen Aufgaben der MUW durch die Wiener Stadtregierung: Für die Zukunft plant die Gemeinde Wien mit der Sigmund-Freud-Privatuniversität (SFU) eine intensivere Zusammenarbeit. Die Studierenden der medizinischen Fakultät der SFU werden ihre Ausbildung verstärkt in den Spitälern des Wiener Gesundheitsverbundes absolvieren können. Auch bei Forschung und der Entwicklung von Infrastruktur möchte man eng kooperieren. Dieser Beschluss ist aus mehreren Gründen kritisch zu hinterfragen:

Die Medizinische Fakultät der SFU verfügt über eine nur vorläufige Akkreditierung für ihr Masterstudium. In einem offiziellen Gutachten wurden nämlich erhebliche Qualitätsmängel in Ausbildung und Forschung festgestellt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass dieser Prozess seitens der Agentur für Qualitätssicherung und Akkreditierung Austria letztendlich in der Aberkennung der Akkreditierung endet und der Studiengang eingestellt werden muss. Wie kann sich der Wigev auf diese unsichere Perspektive einlassen?

Mit der MUW verfügt Wien über eine öffentliche Universität, die gerade eben unter die Top-25-Kliniken der Welt gelistet wurde. Die Ausbildung erfolgt auf höchstem Niveau, die Forschungsleistungen sind herausragend und die PatientInnen des AKH profitieren ganz unmittelbar von dieser Qualität.

Gerade eine sozialdemokratische Stadtregierung hätte also allen Grund, alles zu tun, die Ausbildungs-, Forschungs- und Arbeitsbedingungen an der MUW zu unterstützen. Diese bildet nämlich genügend MedizinerInnen auf höchstem Niveau im öffentlichen System aus.

Leider setzt die Gemeinde Wien auf das falsche Pferd, wenn sie die öffentliche Gesundheitsversorgung künftig stärker von den Ausbildungskapazitäten einer privaten, gewinnorientierten Universität abhängig machen will. Es ist auch die Motivation schwer nachzuvollziehen: Wer an der SFU studiert, braucht einen guten wirtschaftlichen Hintergrund, meistens wohl durch begüterte Familien, um die Studiengebühren von 26.500 Euro im Jahr zahlen zu können.

Ist die Stärkung dieses privatwirtschaftlichen Sektors neuerdings sozialdemokratische Haltung? Die begabten Jungen aus den Arbeiterfamilien der Stadt sind wahrscheinlich nicht Zielgruppe der SFU, da sie wohl kaum die happigen Studiengebühren aufbringen können. Viele Studierende der SFU kommen überdies aus dem Ausland und werden dorthin zurückkehren und sind damit nicht versorgungsrelevant für die Wiener Bevölkerung.

Ärzteausbildung sichern

Es gäbe im Übrigen viel Verbesserungsbedarf, den die Gemeinde Wien in der Zusammenarbeit mit der MUW zu leisten hätte, damit die Ärzteausbildung für die Zukunft gesichert und die AbsolventInnen in Wien gehalten werden können. Stadtrat Hacker beklagt, dass zu wenig MedizinerInnen ausgebildet würden. Dabei ist es der Wigev, der für einen nachteiligen Flaschenhals durch monatelange Wartezeiten in der weiteren Ausbildung der StudienabsolventInnen sorgt. Ist zu erwarten, dass sich die Ausbildungsmöglichkeiten der MUW-AbsolventInnen dadurch weiter verschlechtern, dass sie künftig im Wigev mit den KollegInnen von der SFU um die postgradualen Ausbildungsplätze konkurrieren müssen?

Außerdem: Die Zahl der im öffentlichen System ausgebildeten MedizinerInnen ist für die Versorgung der Bevölkerung absolut ausreichend. Österreich liegt international im Spitzenfeld. Vergleichbare Universitäten wie z. B. die Uni Bern bildet 320 MedizinerInnen pro Jahr aus, in Harvard sind es 164, an der MUW 760 jährlich. Man muss aber deutlich mehr Anreize setzen, die JungmedizinerInnen in der öffentlichen Versorgung zu halten.

Untrennbar verflochten

Das AKH ist mit der MUW untrennbar verflochten. Für die nicht ärztlichen Berufsgruppen ist die Gemeinde Wien zuständig, für die Ärzteschaft die MUW. Viele Probleme in der Patientenversorgung, wie die Absage von OP-Terminen oder lange Wartezeiten, gründen in Personalmängeln im nicht ärztlichen Bereich. Gerade im AKH wäre es daher wichtig, nicht ärztliche Berufe aufzuwerten und damit auch die Ausbildungsqualität für ÄrztInnen zu verbessern. Es soll künftig nicht mehr sein, dass ÄrztInnen in Ausbildung regelmäßig Tätigkeiten anderer Berufsgruppen übernehmen müssen, weil es da an Personal mangelt. Auch ist inakzeptabel, dass Wigev-Spitäler hochspezialisierte unentbehrliche Kräfte, wie beispielsweise neonatologische Pflege, aus dem AKH abwerben.

Die Gemeinde Wien sollte die MUW außerdem dadurch unterstützen, dass das AKH als Universitätsspital durch die anderen städtischen Spitäler stärker von Routineaufgaben entlastet wird. Es ist nicht notwendig, dass Behandlungen banaler Erkrankungen übergebührlich Kapazitäten des AKH binden. Auch sollen vorrangig Pflegebedürftige nicht Betten belegen, die für schwierige Behandlungen gebraucht werden. Der Wigev hat hier die Aufgabe, die Patientenversorgung so zu lenken, dass das AKH seine Rolle als Universitätsspital gut erfüllen kann. Für diese besondere Aufgabe, die das AKH von den anderen Wiener Spitälern unterscheidet, bekommt der Wigev – neben den von der MUW getragenen ärztlichen Personalkosten und den mit dem Bund gemeinsam getragenen Bauinvestitionen – eine Abdeckung des klinischen Mehraufwands und Investitionsmittel von in Summe ungefähr 60 Millionen Euro pro Jahr seitens des Bundes überwiesen.

Es ist außerdem ein wohl nicht beabsichtigter Treppenwitz: Das nunmehr in Schließung befindliche Lorenz-Böhler-Spital, das temporär in das Universitätsklinikum AKH einziehen soll, ist ebenfalls „Fakultätsklinikum der Sigmund-Freud-Privatuniversität“.

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Printausgabe, 7.3.2024

Die Autorin

Sigrid Pilz (*1958) war von 2012 bis 2022 Patientenanwältin der Stadt Wien und ist eine ehemalige österreichische Politikerin (Die Grünen). Sie ist Mitglied im Universitätsrat der MUW und nicht verwandt mit Peter Pilz.

Beigestellt.

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