Der erste Atombombentest 1946 auf dem Bikini-Atoll. Markiert er auch den Beginn einer neuen erdgeschichtlichen Ära?
Geologie

Ade, Anthropozän: Das Zeitalter des Menschen ist überraschend abgesagt

Wie stark beeinflussen wir den Planeten? Diesen Sommer wollten Geologen mit dem Anthropozän ein neues Erdzeitalter ausrufen. Doch das haben nun Kollegen überraschend gestoppt.  

In Kulturkreisen und unter Bildungsbürgern gehört es längst zum aktiven Wortschatz: das Anthropozän. Ja, so hören wir uns seufzen: Wir Menschen richten den Planeten so zu, hinterlassen so tiefe Spuren und Wunden, dass wir damit ein neues Erdzeitalter lostreten, das von uns zu verantworten und nach uns zu benennen ist. Es hat freilich auch Konsequenzen, das Holozän zu Grabe zu tragen, das seit dem Ende der letzten Eiszeit so stabil vor sich hinläuft. Nicht nur, weil man Lehrbücher umschreiben muss: In einer neuen Ära zu leben, prägt unser Selbstverständnis, vielleicht für Jahrtausende (wenn es uns dann noch gibt).

Doch zu entscheiden haben über den neuen Punkt in der Zeitleiste die Geologen. Sie teilen die Erdgeschichte in Epochen ein, die sich im Gestein weltweit deutlich abzeichnen. Seit eineinhalb Jahrzehnten prüfen Experten, ob die Zeit reif ist, das Anthropozän auszurufen. Die dafür eingesetzte Arbeitsgruppe mit rund 40 Mitgliedern hat es bejaht, nach sehr ausgiebigen Beratungen.

Ein Seegrund wie ein Archiv

Sie hat auch einen Startpunkt festgesetzt: um 1950, mit den ersten Atombombentests. Und einen Referenzort für die weitere geologische Forschung: den Crawford Lake in Kanada. Auf dem Grund dieses Sees, einer eingestürzten Karsthöhle, bilden sich Jahresringe aus transparentem Kalk, unter dem abgelagerte Stoffe aus der Umwelt sichtbar sind, wie in einem Archiv.

In diesem Sommer sollte das Anthropozän auf einem Kongress in Südkorea offiziell ausgerufen werden. Aber zuvor hätte der Vorschlag noch drei Komitees der Internationalen Geologengesellschaft passieren müssen. Und schon die Mitglieder der ersten haben am Dienstagabend überraschend ihr Veto eingelegt, mit deutlicher Mehrheit. Dahinter steht ein Machtkampf, der nun in eine Sackgasse geführt hat.

Worum geht es? Ein Erdzeitalter ist durch gravierende Entwicklungen markiert, wie den Untergang der Saurier, den Aufstieg der Säugetiere oder Eiszeiten. Kein Geologe bestreitet, dass sich das Treiben der Menschen im Gestein widerspiegelt: durch die Radionuklide aus den Atombombentests, Mikroplastik, Pestizide, dem Stickstoff und Phosphor in den Düngemitteln oder Rußpartikel aus dem Verbrennen fossiler Rohstoffe. Dazu kommen, wenn auch indirekter, die Folgen der menschengemachten Erderwärmung und des Artensterbens. Aber bewirken sie wirklich grundlegende Änderungen in den Gesteinsschichten? Eine neue geologische Epoche, die zudem genau und weltweit einheitlich zu datieren ist?

Nur ein Ereignis, keine Epoche

Es gibt eine gelindere Alternative: ein geologisches „Ereignis“. Das kann den Weltenlauf an der Oberfläche durchaus massiv beeinflussen, wie frühere Massenaussterben, rasche Erweiterungen der Biodiversität oder die Anreicherung der Atmosphäre mit Sauerstoff vor gut zwei Milliarden Jahren. Aber man muss dafür kein genaues Startdatum festlegen. Das bleibt beim Anthropozän umstritten. So würde ein Teil der Kritiker den Einfluss des Menschen schon viel früher ansetzen, etwa mit dem Aufkommen der Landwirtschaft oder der Industriellen Revolution.

Die Mitglieder der Arbeitsgruppe, die das Anthropozän so klar auf Schiene gesetzt hatten, sind nun enttäuscht. Sie überlegen, die Abstimmung des Komitees anzufechten. Aber es sieht so aus, als ob der Mensch auf sein offizielles Zeitalter vorerst verzichten muss. Stolz dürfte er darauf ohnehin nicht sein.

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