V. l. n. r.: Robert Downey Jr., Da’Vine Joy Randolph, Emma Stone, Cillian 
Murphy: Prämierte Stars aus verschiedenen Filmen posieren gemeinsam für die Kamera, im friedlichen Oscar-Taumel vereint.
Hollywood-Gala

Was wir aus den 96. Oscars lernen können

Ein Preisregen für „Oppenheimer“, kaum Überraschungen, keine Eklats: Die Academy Awards waren heuer in erster Linie fad. Warum das nicht schlecht sein muss – und was der Galaabend über den Zustand der Traumfabrik aussagt.

Die Würfel sind gefallen, die Oscars sind verliehen. Es war eine Show ohne wirklich nennenswerte Paukenschläge, aber mit vielen guten Filmen, eindrucksvollen Einlagen auf der Bühne und angenehm entkrampfter Stimmung. Doch was erzählt uns das Oscar-Fest 2024 über den Status quo der US-Filmbranche? Drei Thesen.

Männer haben noch immer das Sagen. Aber sie geloben Besserung.

Das Patriarchat ging bei der Oscarverleihung nicht in die Brüche. Im Gegenteil: Den Wettkampf um Bedeutsamkeit und Renommee, den sich „Barbie“ und „Oppenheimer“ – also der „weibliche“ bzw. der „männliche“ Top-Blockbuster des vergangenen Jahres – geliefert hatten, entschied Letzterer am Sonntag für sich. Während Christopher Nolans Physikerporträt satte sieben Goldstatuetten erntete, und zwar in den wichtigsten Kategorien, schaffte es „Barbie“ in vielen davon nicht einmal unter die Nominierten. Am Ende wurde Greta Gerwigs Puppenepos mit einem Oscar für den Besten Song abgespeist; und sogar der galt eher Billie Eilish als dem Film selbst.

Skandal? Na ja. Zum einen kann sich Gerwig ganz gut damit trösten, „Oppenheimer“ im Rennen um Kassengold weit überflügelt zu haben. Zum anderen scheut sich die Academy seit jeher, Komödien auszuzeichnen – Ausnahmen wie „The Artist“ bestätigen diese Regel nur. Und obwohl die Männerwelt noch nicht bereit ist, ihren Logenplatz im Filmbetrieb aufzugeben, zeigt sie sich zumindest offen für Selbstkritik: „Oppenheimer“ mag ein Film sein, der den Kult um männliche Genies und den Reiz ihres oft destruktiven Charakters weitertreibt. Aber er zelebriert ihn nicht vorbehaltlos: Vielleicht, so eine Botschaft des Breitwand-Dramas, müssen feuereifrige Forschergeister doch nicht jede (Bomben-)Idee umsetzen, die sie umtreibt? Vielleicht tragen sie sogar Verantwortung für das, was sie tun? Ein kleiner Schritt aus Sicht der Menschheit, aber ein Quantensprung für Hollywood.

Politik? Nein, danke – die Welt sehnt sich nach Entertainment!

#OscarsSoWhite, #MeToo, die Streiks der Schauspieler und Drehbuchautoren, das Schreckgespenst KI – all das schien bei der heurigen Hollywood-Gala im Dolby Theatre in weiter Ferne zu liegen. Auch das Weltgeschehen jenseits der Glamourmauern der Traumfabrik blieb randständig. Zwar erlaubte sich der Oscar-Zeremonienmeister Jimmy Kimmel zum Schluss eine spitze Retourkutsche gegen Donald Trump, der ihn kurz davor auf dem Kurznachrichtendienst Truth Social beflegelt hatte („Isn’t it past your jail time?“). Und Jonathan Glazer, der Regisseur der Shoah-Täterstudie „The Zone of Interest“, nutzte seine Dankesrede für Kritik an der Vereinnahmung „seines“ Judentums und des Holocausts durch eine „Besatzung“, die in Israel und in Gaza zu „so vielen“ Opfern und „Entmenschlichung“ geführt habe. Doch insgesamt hielt die diesjährige Oscar-Veranstaltung alles, was zu Unstimmigkeit oder Aufregung führen könnte, diskret auf Abstand.

The show must go on, ein bisschen Spaß muss sein: Gelassenheit war die Devise des Abends, knallige Va­ri­e­ténummern – etwa Ryan Goslings auf charmante Art schludrige Darbietung des „Barbie“-Hits „I’m Just Ken“, mit Slash von Guns N’ Roses an der Gitarre – gaben den angeheiterten Ton des Events an.

Auch die Preise spiegelten die Haltung wider, die Kirche im Dorf und den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen, siehe These Nr. 1: „Barbie“-Enthusiasten im Oscar-Saalpublikum schienen „Oppenheimer“ den Preisregen zu vergönnen, Feminismus hin oder her. Dass Symbolpolitik wieder stärker in den Hintergrund des Awards-Zirkus getreten ist, bezeugte überdies eine der wenigen Überraschungen des in Summe enorm vorhersehbaren Trophäenreigens: Der Preis für die Beste Hauptdarstellerin ging nicht (wie von den meisten Buchmachern avisiert) an Lily Gladstone für ihre Darstellung eines indigenen Komplottopfers in Martin Scorseses „Killers of the Flower Moon“, sondern – nicht minder verdient – an die sehr, sehr weiße Emma Stone für ihre verhaltensauffällige Performance im famosen Fantasy-Bildungsroman „Poor Things“. Es wird wohl kaum jemand Beschwerde einlegen: Beide Schauspielerinnen haben derzeit einen Stein im Brett bei den Entscheidungsträgern Hollywoods.

Die Oscars sind „too big to fail“. Und bis auf Weiteres „here to stay“.

In den vergangenen Jahren wurden die Oscars immer wieder totgesagt: Sinkende Quoten und schwindende Relevanz in den Augen der Jugend würden zeigen, dass das altbackene TV-Event einer scheidenden Medien-Ära angehört. Dennoch konnte sich die Show zuletzt mit Live-Knalleffekten wie Will Smiths Watschn-Eklat und ungewöhnlichen Gewinnerfilmen („Parasite“, „Everything Everywhere All at Once“) im Gespräch halten. War das die Rettung vor dem unmittelbar bevorstehenden Untergang? Wären die Oscars sonst längst in der Versenkung verschwunden? Die weitgehend positive Resonanz auf die jüngste, entspannte, skandalfreie Gala zeigt: Nein.

Denn komme, was wolle – die Oscars sind und bleiben eine Zentralinstitution der westlichen Medienwelt. Für deren Filmkultur erfüllen sie die gleiche Funktion wie der Super Bowl für den US-Sport oder der Opernball für die heimische Seitenblicke-Gesellschaft. Wie viele Zuschauer die Oscarverleihung tatsächlich im Fernsehen verfolgen, ist dabei zweitrangig: Entscheidend für den Erhalt der symbolischen Ordnung ist, dass sie stattfindet – und dass darüber geredet wird, zumindest ein wenig, am Gang im Büro, beim Umtrunk nach der Arbeit und in sozialen Medien.

Das ist nun auch den Oscar-Veranstaltern selbst klar geworden. Die Academy Awards waren heuer vor allem eines: fad. Aber fad heißt nicht immer „schlecht“. Es steht auch für verlässliche Normalität. Und besagt: Keine Angst – wir sind noch im richtigen Film.

Die wichtigsten Gewinner

Bester Film: „Oppenheimer“

Beste Regie: Christopher Nolan („Oppenheimer“)

Bester Hauptdarsteller: Cillian Murphy („Oppenheimer“)

Beste Hauptdarstellerin: Emma Stone („Poor Things“)

Beste Nebendarsteller: Robert Downey Jr. („Oppenheimer“)

Beste Nebendarstellerin: Da’Vine Joy Randolph („The Holdovers“)

Bester Internationaler Film: „The Zone of Interest“

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