Energie

Atomkraftwerke für den Vorgarten

Experten zerpflücken das Konzept von sogenannten Kleinreaktoren. Sie seien nicht anders zu bewerten wie herkömmliche AKW. Auf dem Foto: das slowakische Atomkraftwerk Mochovce.
Experten zerpflücken das Konzept von sogenannten Kleinreaktoren. Sie seien nicht anders zu bewerten wie herkömmliche AKW. Auf dem Foto: das slowakische Atomkraftwerk Mochovce. (c) APA/Milenko Badzic
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Die polnischen Atomkraftwerkspläne sind eng mit dem Konzept der SMR verknüpft – der „Small Modular Reactors“. Die Behauptung, dass diese vermeintlichen Klein-AKW weniger gefährlich seien als die großen, harrt allerdings noch einer Beweisführung.

Die Versprechungen klingen verlockend; gerade in Zeiten der Klimakrise, in denen der Ausstieg aus fossilen Energieträgern angesagt ist, gibt es zumindest auf der politischen Ebene Rückenwind: Kleine Atomkraftwerke, die teilweise in Serie hergestellt werden, sollen die Energieprobleme lösen. Dort, wo Energie benötigt werde. Gewissermaßen: Atomkraft für den Vorgarten.

Die Idee dabei ist, die einzelnen Komponenten zu vereinheitlichen und damit insgesamt wesentlich billiger zu machen. Die Wahrscheinlichkeit von Unfällen werde durch die Serienproduktion verringert; sollte – wider Erwarten der Betreiber – dennoch ein Unfall geschehen, so seien die Auswirkungen geringer, weil der Reaktor insgesamt geringere Ausmaße habe. Und damit auch die eingesetzte Menge an spaltbarem Material. Bauzeiten und -kosten verringerten sich.

Keine Kleinkraftwerke

So weit die Hoffnung und Versprechungen der Industrie, die auch Microsoft-Gründer Bill Gates in einem Buch angepriesen hat – und damit die Werbetrommel für kleine AKW rührt. Gates ist selbst wesentlicher Financier von Terrapower, einer US-Firma, die solche Kraftwerke errichten will.

Die Anlagen sind so klein nicht: Die Anlage in Polen soll mit vier 300 MW-Reaktoren bestückt sein; das slowakische Atomkraftwerk Mochovce hat 440 MW. Und: Der bereits oftmals propagierte technologische „Durchbruch“ ist allerdings noch nicht absehbar. Das Konzept ist nicht so neu, wie behauptet wird. Die Versuche, kleinere AKW zu errichten, gehen auf die 1990er-Jahre zurück. Aufgrund der langen Bauzeit und der hohen Kosten ist Atomkraft nicht geeignet, eine Lösung von Energieproblemen in der Klimakrise zu liefern.

Mit einem SMR-Konzept liebäugeln Argentinien, Kanada, USA, Großbritannien, Südkorea, Russland und China. In Sibirien sind zwei schwimmende Atomkraftwerke ans Netz gegangen (nach einer Planungs- und Bauzeit, die viermal so lang war wie ursprünglich prognostiziert). Und in China wird seit 2012 an der Realisierung des Konzepts zweier Kleinreaktoren gearbeitet.

Hier schließt auch der am Montag in Wien präsentierte Bericht über die ersten polnischen Klein-AKW (vom Typ BWRX-300) an, die in Auschwitz geplant sind. Raphael Zimmerl, Atomexperte der Wiener Umweltanwaltschaft: „Dieser Typ von Reaktor wurde noch nie errichtet.“

In einer „Fachstellungnahme zum BWRX-300“ des Pulswerks, eines Beratungsunternehmens des Österreichischen Ökologieinstituts, bemängeln die vier Autoren grundsätzlich, dass in den Unterlagen des Betreibers die Behauptung in den Raum gestellt wird, dass die „Wahrscheinlichkeit hypothetischer Unfälle, die zu großen Freisetzungen führen können“, als sehr gering betrachtet werde – ohne dies aber fachlich zu begründen. Dazu heißt es: „Die zum Nachweis des praktischen Ausschlusses von unfallbedingten Freisetzungen herangezogenen probabilistischen Kennwerte sind auf eine qualitativ höherwertige als die angegebene ,geschätzte‘ Grundlage zu stellen.“

Wichtig sei auch, dass die Auslegungsgrundlagen in einem Gesamtkonzept dargestellt würden. Schließlich seien Machbarkeit, Zuverlässigkeit und Wirksamkeit von technischen Lösungen nachzuweisen. So heißt es: „Die wichtigsten konstruktiven Änderungen des BWRX-300 betreffen die Verringerung der Komplexität der Sicherheitssysteme. (…) Die Reduzierung der Anzahl der Sicherheitssysteme ist nicht ohne eine Reduzierung des Sicherheitsniveaus möglich. Wesentliche Sicherheitsphilosophie für Kernkraftwerke, auch für den BWRX-300, ist das gestaffelte Sicherheitskonzept. Dazu gehört auch die Unabhängigkeit der Sicherheitsebenen, diese ist jedoch beim BWRX-300 nicht gegeben.“

„Von einem Boom kann keine Rede sein“

Das Konzept von kleinen „AKW von der Stange“ sei auch deshalb infrage zu stellen, weil jede einzelne Komponente darauf geprüft werden müsse, ob sie für den Einsatz in einem Atomkraftwerk geeignet sei. Insgesamt meint dazu Jürgen Czernohorszky, Vorsitzender der internationalen Organisation Cities for Nuclear Free Europe und Klimastadtrat in Wien: „Nuklearenergie ist die gefährlichste Energieform.“

Wiens Umweltanwältin Iris Tichelmann, die auch Atomschutzbeauftragte der Stadt Wien ist: „Atomkraft ist absolut nicht geeignet, die globalen Probleme der Energie- und Klimakrise zu lösen.“ Sie meint weiter: „Es ist sehr fraglich, ob alle angekündigten Kraftwerksprojekte in Europa auch tatsächlich realisiert werden können. Bereits in der Vergangenheit wurden zu Zeiten erhöhter Strompreise nukleare Neubauprojekte angekündigt, die im Endeffekt aufgrund von technischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht errichtet wurden.“ Das habe dazu geführt, so Atomexperte Zimmerl, dass der Anteil an Atomstrom seit Jahrzehnten eingefroren bleibe und sogar marginal abnehme, „von einem Boom kann jedenfalls nicht gesprochen werden“.

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