Gastkommentar

Zusammenleben in Zeiten der „Permakrise“

(c) Peter Kufner
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Die Welt, so wie wir sie kannten, ist in ihrer Grundordnung nicht mehr stabil. Dabei zeigt sich die Fragilität des Zusammenhalts.

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben unsere Großeltern ein physisch, intellektuell und auch moralisch in Trümmern liegendes Land mit viel Anstrengung sowie einem geopolitischen Quäntchen Glück wieder aufgebaut. Damals dominierte die Hoffnung, dass es bergauf geht und man selbst und seine Nachkommen ein besseres Leben haben werden. Der folgende Aufschwung war eine jahrzehntelange Erfolgsgeschichte, die Österreich unter die reichsten Länder der Welt führte.

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts sind wir jedoch mit immer mehr Herausforderungen („Permakrise“) konfrontiert, die Sicherheit, Wohlstand und das Bild einer positiven Zukunft bedrohen: Wirtschaftskrisen, eine Pandemie, der Angriffskrieg auf ein europäisches Land, die Inflation, die Eskalation im Nahen Osten oder der Klimawandel. Die Welt, so wie wir sie kannten, ist in ihrer Grundordnung nicht mehr stabil, wird multipolarer, unwägbarer, und es zeigt sich die Fragilität von Demokratien.

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Objektiv betrachtet geht es den meisten materiell ungleich besser als ihrer Großelterngeneration. Allerdings steigt die generelle Verunsicherung, und es schwindet das Vertrauen in eine Verbesserung oder zumindest Absicherung des eigenen Wohlstands, wie das in den Jahrzehnten davor die von vielen geteilte Erwartung war.

Die Reaktion ist ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis. So erkennt man etwa bei jüngeren Jobbewerber*innen vermehrt, dass sie risikoaverser auftreten und Arbeitsplatzsicherheit im Vordergrund steht. Unzufriedenheit, Verunsicherung und Verlustängste drücken sich auch über Misstrauen in gesellschaftliche Institutionen und Entscheidungstragende sowie im demokratischen Wahlverhalten aus: Bewahrende und eher vereinfachende politische Lösungsangebote werden attraktiver. Verbunden damit nimmt in den vergangenen Jahren die Polarisierung innerhalb der Gesellschaft tendenziell zu und drückt sich auch über aggressivere Kommunikationsformen in sozialen Medien aus. Wirklicher Dialog zwischen Andersdenkenden findet kaum statt. Es besteht offenkundiger Handlungs­bedarf, unsere gesellschaftliche Resilienz zu steigern, mit dem Ziel eines friedlichen Zusammenlebens bei gleichzeitiger Stärkung unserer Demokratie.

Schwurbler und Systemmedien

Vor exakt vier Jahren, am 16. März 2020, hat der erste Lockdown begonnen. Und die folgenden Jahre mit der Pandemie haben uns vor Augen geführt, wie schnell wir alle in Kommunikationsblasen und Echokammern versinken, die es erschweren, mit Andersdenkenden in respektvoller Weise zu interagieren. Im Verlauf der Pandemie hat diese Gesprächsbereitschaft zunehmend aufseiten vieler gefehlt und die Fronten weiter verhärten lassen. Begriffe wie „Schwurbler“ oder auch „Systemmedien“ haben sich, je nach Standpunkt, in unseren Sprachgebrauch eingeschlichen und solcherart Grenzen gezogen. Damit sinkt auch das Interesse an der Meinung des Gegenübers und am Diskurs. Andererseits haben wir selbst immer wieder erlebt, dass Gesprächsbereitschaft mit kritischen Personen über Meinungsgrenzen hinweg es ermöglicht, in einem ersten Schritt zumindest gegenseitiges Verständnis zu entwickeln. Dazu braucht es einen minimalen Grundkonsens über faire Regeln des Dialogs, Respekt und Empathie.

Das soll nicht bedeuten, Fakten zu verleugnen und die Erde auf einmal als Scheibe zu akzeptieren. Aber vieles läuft auf einer emotionalen zwischenmenschlichen Ebene ab, und unüberwindbar scheinende Meinungsverschiedenheiten lassen sich bei beidseitiger Bereitschaft zu reden manchmal auflösen oder zumindest für den Moment in den Hintergrund schieben. Kommunikation mit Andersdenkenden kostet Energie und fordert den eigenen, vermeintlich abgesicherten Standpunkt heraus. Gerade deshalb ist sie ein so ungemein wertvolles Werkzeug für eine Gesellschaft in schwierigen Zeiten.

Barbara Schober.
Barbara Schober.(c) Carolina Frank
Andreas Bergthaler.
Andreas Bergthaler. MedUni Wien/feelimage

Wie können wir Kommunikation einsetzen, um uns als Gesellschaft nicht auseinanderdividieren zu lassen? Wie bewusst aus unseren Echokammern treten und auf Andersdenkende zugehen? Eine Möglichkeit stellen neue Gesprächsräume dar, um über divergierende Standpunkte zu diskutieren und für sich einen Erkenntnisgewinn zu erzielen. TV-Diskussionsformate wie zur damaligen Volksabstimmung Österreichs über den Beitritt zur EU wären ein Beispiel. Bürger*innenkonvente oder Bürger*innenräte können weitere Formate für einen kritisch-wertschätzenden gesellschaftlichen Diskurs bieten. Auch die sozialen Medien sollte man nicht generell verteufeln, sondern nüchtern als einen Kommunikationskanal sehen, der konstruktiv eingesetzt werden kann, um breite Bevölkerungsschichten zu erreichen und zum Dialog einzuladen.

Mit alledem und mehr würden wir auf den Spuren des österreichisch-britischen Philosophen Sir Karl Popper wandeln. Er beschreibt den kritischen Rationalismus als Lebenseinstellung „die zugibt, dass ich mich irren kann, dass du recht haben kannst und dass wir zusammen vielleicht der Wahrheit auf die Spur kommen werden“.

Aus Echokammern treten

In einer komplexer werdenden Welt ist achtsam gestaltete Kommunikation ein wichtiges Instrument, um das Miteinander zu erhalten. Fraglos ist sie aber nur ein Ansatzpunkt von mehreren nötigen. Authentische Wissens- und Informationsvermittlung, möglichst losgelöst von Ideologie und parteipolitischer Weltanschauung, wäre hilfreich für einen Grundkonsens (d. h. die Erde ist doch rund, na ja, eigentlich ein Geoid). Damit kommt den Medien, aber auch der niederschwelligen und zielgruppenorientierten Wissenschaftskommunikation eine wichtige Rolle auf mehreren Ebenen zu. Fundierte Inhalte versachlichen den Diskurs, unterstützen den gegenseitigen Respekt, steigern die Resilienz aufgrund eines besseren Verständnisses der Hintergründe und führen letztlich zu einer individuellen Selbstermächtigung.

Viele dieser Aspekte hören wir aus unterschiedlichen Lagern: So mahnte der dritte Nationalratspräsident, Norbert Hofer, angesichts der Eröffnung des sanierten Parlamentsgebäudes ein, dass es in der Politik um aufmerksames Zuhören gehe sowie um den Versuch, die Welt auch aus den Augen des anderen zu sehen. Kardinal Christoph Schönborn schlug zur Fastenzeit ein „Worte-Abrüsten“ vor. Und Bundespräsident Alexander Van der Bellen ist in seiner Eröffnungsrede der Salzburger Festspiele auch zur Tat geschritten und hat vorgezeigt, wie man die Algorithmen der sozialen Medien überlistet, indem man bewusst Andersdenkenden „followed“. Letztlich liegt es an jedem/r von uns, auf Mitmenschen einen Schritt zuzugehen. Das klingt leichter, als es ist und kostet Überwindung. Eine wirklich gesprächsbereite Mehrheit wäre aber ein großer Gewinn für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und könnte eine Basis dafür sein, trotz Permakrise handlungsfähig und optimistisch in die Zukunft zu blicken.

E-Mails bitte an: debatte@diepresse.com

Die Autoren

Univ.-Prof. Dr. Andreas Bergthaler ist Professor für Molekulare Immunologie, Leiter des Instituts für Hygiene und Angewandte Immunologie an der Med-Uni Wien sowie assoziierter Gruppenleiter am Cemm-Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Seine Forschung befasst sich mit Immunologie und Infektionskrankheiten, und integriert partizipatorische Citizen Science Ansätze und Wissenschaftskommunikation. 

Univ.-Prof. Dipl. Psych. Dr. Barbara Schober ist Professorin für Psychologische Bildungs- und Transferforschung und Dekanin der Fakultät für Psychologie der Uni Wien. Sie ist Vizepräsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Psychologie und Co-Sprecherin des fakultären Forschungsschwerpunkts „Psychologie des lebenslangen Lernens“.

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